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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann
Autoren: Heinz Sobota
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die Muskeln zittern. Über eine steile Rinne klettere ich zu dem Mädchen hinüber. Sie liegt ausgestreckt auf dem Rücken. Naß lege ich mich neben sie, schließe die Augen. Durch den Schatten der Lider malt die Sonne Bilder, Fingerspitzen streichen tastend meinen Körper entlang.
    »Willst du hierbleiben?« fragt sie und küßt meine Brust bis zum Bauch, dann decken ihre Haare mein Gesicht.
    »Möchtest du?« sage ich, ohne die Augen zu öffnen.
    »Ich möchte dich, richtig mit Liebe, verstehst du. Ich kenn dich ja nicht, aber das ist mir egal«, sagt sie stockend.
    »Und das Geld? Du mußt doch verdienen, dein Mac verprügelt dich«, sage ich. Die Haare bleiben an meinem Gesicht. Ihr Mund spricht an meinen Lippen.
    »Vor sechs Wochen haben Araber versucht, mir Geld wegzunehmen. Einer hat sich eingemischt, er hat mir helfen wollen. Sie haben ihn niedergeschlagen, jetzt sehe ich ihn manchmal. Ich gebe ihm nie Geld, wenn du das meinst«, sagt sie. Ein edler Mensch.
    »Er heißt Christian. Wenn du ihn sehen willst, hole ich ihn heute abend«, sagt sie. Die bleichhaarige Hure, Felsen, Wasser und Sonne. Wollte ich nicht in einer kleinen Bucht hocken und fischen, schwimmen und schreiben? Habe ich noch immer nicht die Schnauze voll von der anderen Seite? Wenn ich dem Mac die Kleine wegnehme, gibt es Stunk, wie das Amen nach dem Gebet.
    Der Körper neben mir ist schlank und heiß und zärtlich und willig. Es ist mühsam. Das Andere ist mühsam, dieses hier nicht. Hineinsteigen in ausgetretene Spuren, dieselben Worte, das gleiche Ritual, Gesten, ohne Unterschied.
    Das Mädchen lügt, Huren lügen. Es ist Schutz vor der Umwelt. Abwehr gegen die Verachtung, die Isolierung, das Ausgenütztwerden. Doch es bringt keine Erleichterung, keinen Vorteil, denn sie belügen sich auch selber, damit schließt sich dieser unsinnige Kreis.
    Die zerfickte Votze, das ausgeleierte Arschloch einer Hure ist mir lieber als das gepflegte, empörte Gesicht der geachteten Frau von ›drüben‹. Oder ist es nur deshalb, weil ich am ›Drüben‹ gescheitert bin?
    Ich mag sie aber, die glasharten, dummen, sentimentalen, schamlosen, prüden, duldsamen, abgebrühten, versoffenen, vitalen, leichtsinnigen, treuen Verdienerinnen. Sie sind da und schweigen und bringen Geld, sind anspruchslos und glücklich über jede Zärtlichkeit.
    »Ich wollte schon einige Male aufhören«, sagt sie.
    Welche nicht? Welche hat keine Illusionen? Warum sie gerade nicht? Das Kaffeehaus, das Häuschen, die Wohnung, eine Reise -irgend etwas zum Träumen für die langen Stunden, wo sie stehen und warten, taxieren und rechnen oder einfach müde sind, weil der Zuhälter gesagt hat, »heute arbeitest du rund um die Uhr«.
    Manches Mal ist es dann ganz nahe, das ›kleine Glück‹, und erreichbar. Dann schafft sie es eine Zeitlang ohne Zuhälter, spart und sieht sich frei vom Pflaster – dann kommt der nächste, und sie bietet sich, ihr Geld und – steht wieder an der Ecke.
    »Früher war ich Krankenschwester, vielleicht sollte ich wieder …«, sagt sie und bricht ab, weiß, daß es zwecklos ist. Sie stellen sich alle nur auf die Zehenspitzen und schauen über den Zaun. Zwischen Leichtsinn und Depressionen schleppen sie ein Bündel Hoffnungen mit sich. Keine erfüllt sich. Sie schaffen kaum den Sprung von der Straßen- oder Bardirne ins eigene Appartement. Wenn, dann durch Zufall oder – mit einem cleveren Zuhälter.
    Weit offene Augen sehen mich an. Einen Teil des Berges spiegelt sich darin, rauchig und nahe.
    »Eine Hure wie mich … in jeder Stadt kannst du eine haben. Brauchst nur mit einem Geldschein zu winken, sagen, komm mit, und ich komme mit. Aber ich will nicht mehr. Ich will nicht mehr. Seit einigen Wochen bin ich jeden Abend betrunken, dann gehts leichter. Alles, die Scheiße, verstehst du mich«, sagt sie hastig und drängend. »Sie kotzen mich an. Alle. Ich will ihre halbweichen Schwänze nicht mehr sehen, nicht mehr in den Mund nehmen. Ihre wühlenden Finger in meiner Fut spüren. Nie mehr sagen müssen … ›du fickst wunderbar‹ zu diesen Schlappschwänzen, diesen halbwarmen Hunden, diesen vergammelten Arschfickern, hörst du … nie mehr. Wenn sie sagen, krall fester, tiefer ins Arschloch, schneid mich ein bißchen in den Sack, scheiß mir auf die Brust, den Bauch, pinkel mich an. Ich will sie nie mehr sehen, nie mehr, nie mehr …«, heult sie stoßweise. Schluchzend, halb erstickt kommen die Worte. Vor mir sind ihre zuckenden Schultern, ihr Körper
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