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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann
Autoren: Heinz Sobota
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vibriert, stammelnd redet sie weiter.
    »… wie du gestern gekommen bist, so ganz ruhig, ohne Gier, als, als wäre ich dein Mädchen. Ich habe mich gefreut, du brauchst das nicht zu begreifen, trotzdem hast du mich geschlagen, als wäre ich dein Eigentum«, sie zerknüllt ein Taschentuch im Gesicht.
    »Ich bin allein, begreifst du, allein, wie ein verlaufener Hund. Am Abend kann ich trinken, dann wird es egal, es zählt nicht mehr, aber so etwas wie mit dir darf nicht geschehen«, zögernd spricht sie gegen den Windhauch, der vom Land her über die Felsen streicht. Seltsam, gedankenlose Berührungen haben einen Damm unterwaschen. Wie oft saß, stand, lag ich daneben, wenn die Härte brach? Sei ist jung, da lebt noch so vieles. Der Schatten vor meinem Gesicht verschwindet, ich höre sie in der Handtasche kramen. Fotos. Neben einer Steinmauer ein alter Mann. Streng faltiges Gesicht, weißes, gerade gescheiteltes Haar, der Vater; daneben, verarbeitet, verhärmt, im dunklen Kostüm: die Mutter.
    Blumen und Gras, Berge dahinter.
    »Notre Jardin«, sagt sie leise. Unser Garten. Versonnen schaut sie auf das Bild, scheint zu suchen – das andere Leben? Aus einem Nebenfach der Tasche zieht sie ein blaues Lederetui. Kinderbilder. Ihr Junge, dreijährig, blond, mit rotem Ball, auf einem grellbemalten Schaukelpferd.
    »Er ist bei meinen Eltern. Ich habe ihn schon lange nicht gesehen. Zu Weihnachten und zu Ostern habe ich Spielzeug geschickt, vielleicht haben sie es ihm gegeben. Sie lassen mich nicht zu ihm, wissen, wie ich lebe, was ich tue. Sie wohnen in der Nähe von Montauban, in den Bergen. Einer aus dem Dorf hat mich hier gesehen, er wollte umsonst ficken, sonst würde er alles erzählen. Er hätte es auf jeden Fall erzählt. Ich habe ihn ausgelacht, weggeschickt. Er hat es erzählt, allen.«
    Sie starrt in das silbriggraue Licht, der Sonnenspur im Wasser nach. Die Hände streichen in fahrigen Gesten durch die Luft.
    Es gibt nichts zu sagen, gibt nie etwas zu sagen. Wir schweigen lange, dann – lächelt sie.
    »Ich möchte dich zum Essen einladen. Ich möchte, daß du nie fortgehst. Ich bin so dumm. Du bist nicht böse?« sagt sie.
    »Nein«, sage ich. Sie legt ihre Hand gegen mein Gesicht.
    »Die Zeit, welche du hier bleibst, möchte ich mit dir sein. Darf ich es? Du hast mich deinen kleinen Affen genannt, wie viele andere davor wohl auch, aber, laß ihn mich für ein paar Tage sein – ist doch egal, wer es ist«, sagt sie und ist leise, kaum mehr verständlich.
    »Wenn es dir Spaß macht, aber ich zahle nie für Frauen, das ist dir wohl klar«, sage ich. »Ich habe Geld, und ich kann welches verdienen, wenn du es brauchst«, sagt sie und faltet die Decke.
    Also ist das einzige Problem – wenn ich hier bleibe – der Mac. Später sitzen wir in einem Restaurant in Callelonque. Wir essen Langusten, sie lacht und plaudert glücklich. Schmale Sonnenstreifen wandern über das Tischtuch. Ein dicker, schwitziger Wirt zerlegt uns hernach Fische. Das Mädchen träufelt eine scharfe Sauce darüber. Der Wein fließt spröde, etwas herb über den Gaumen. Der Nachmittag wird unmerklich später. Verlaufene Stunden ohne Gewicht. Ich trinke wieder Calvados und schaue aus dem offenen Fenster. Boote und Jachten wiegen sich in dem engen Hafen. Zwei Fischer sitzen da, auf den Stufen zum Wasser, der Sonne zu. Flink fädeln ihre Finger die Schiffchen durch Netzmaschen. Sie flicken schadhafte Stellen. Wenige Kilometer von hier kocht der Asphalt. Die Stadt krümmt sich unter der Hitze. Autokolonnen kriechen durch die Straßen, zu dem Tunnel am Hafen. Menschen hetzen. Eisstücke klirren in Gläser auf den Tischen der Bistros am Rand der sonnenheißen Boulevards. Farben und Bewegung, Lärm und Gestank, Aggression und Trägheit.
    Das Mädchen löffelt an einem sehr bunten Eis, die Farben stechen grell von den dunkelgetäfelten Wänden ab. Ich schnuppere an meinem Glas – ein Apfelbaum im Garten des Großvaters. Alte Gedanken hängen herum, bleiben liegen, nichts geschieht. Es ist Sommer. In einem anderen Land.
    Spät, die Sonne ist ein feuriger Kranz weit im Westen, fahren wir in die Stadt zurück.
    »Wenn ich abends arbeiten soll, muß ich zum Coiffeur«, sagt sie und sieht mich an.
    »Dann geh. Ich bin im Hotel«, sage ich. Sie küßt mich, steigt aus dem Wagen. Ich stelle das Auto vor dem Hotel ab. An der Rezeption werde ich aufgehalten. Post. Ich blättere die Umschläge durch, nichts von Stella. Dann bestelle ich eine Flasche
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