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Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman
Autoren: Aufbau
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Kleidung vorbeilaufen und hätte sie am liebsten gefragt, wie die Dinge bei ihr stünden. Einmal, als sie ihr auf dem Markt begegnete, folgte sie ihr ein Stück, doch dann bereute sie es. Verblüfft beobachtete sie, wie Flor die Luft umarmte, als könnte sie mich sehen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Gerücht, Flor habe den Verstand verloren. Die Hunde bellten den ganzen Tag lang vor Hunger, weil ihnen keiner mehr die Fressnäpfe füllte, und bald machten die Leute einen Bogen um unser Haus wegen des üblen Gestanks, der durch die Fenster nach draußen drang. Die Hündchen gingen nicht mehr raus, um ihr Geschäft zu machen, und Flor ließ des Öfteren das Essen anbrennen. Angelockt durch den Qualm, waren ein paar Nachbarn zu Hilfe geeilt, damit nichts Schlimmeres passierte. Doch die meisten zogen es vor, jeden Kontakt mit ihr zu meiden, denn sie begannen sich vor ihr zu ekeln, selbst auf der Straße gingen sie ihr aus dem Weg. Meine arme Flor verkam zu einer stinkenden Alten, und keiner von uns konnte sie vor dieser Grausamkeit bewahren.
    Eines Abends, als zum Nationalfeiertag aufgespielt wurde, lief mein armes altes Weib singend und tanzenddurch die Straßen, ohne zu bemerken, dass sie sich lächerlich machte. Auf dem Platz vor der Kirche blieb sie stehen, um dort ein ganz besonderes Schauspiel zu liefern: Sie bestreute die Passanten mit Konfetti und äffte die Musiker pfeifend und auf einem Bambusstück trommelnd nach. Bald begann eine aufgebrachte Menge, sie übel zu beschimpfen und Gegenstände nach ihr zu werfen. Es wirkte wie eine erniedrigende Steinigung vor aller Augen. Die Ojerosa unterbrach das grausame Spektakel, als Flor gerade zur Höchstform auflief.
    »Macht, dass ihr fortkommt, ihr verfluchtes Pack! Schämt ihr euch nicht, eine arme Frau so zu verhöhnen?«, brüllte sie nach rechts und nach links.
    Da die Ojerosa allerdings selbst nicht allzu sehr geachtet in Paitanás war, richtete ihr Erscheinen auf dem Platz auch nichts aus. Der ganze Hohn, den Flor geerntet hatte, wurde nun über ihr ausgeschüttet.
    »Ojerosa!«, rief man ihr zu, »von welcher Farbe sind Sofanors Stiefel?«
    Flor kicherte kraftlos vor sich hin, ihre Welt drehte sich in anderen Sphären. Die Ojerosa hockte sich neben sie und kämmte ihr das Haar mit den Fingern. Als sie den fernen Glanz in ihren Augen aufschimmern sah, wusste sie, dass meine Frau nicht mehr in die Realität zurückfinden würde.
    »Ja, Mamita, jetzt bist du in Sicherheit. Ich bin gekommen, um dich hier wegzuholen.« Mit viel Mühe half sie Flor auf die Beine.
    »Gehen wir heim, mein Mann wartet schon«, verkündete Flor.
    »Ja, gehen wir.« Und die knochigen Arme untergehakt, liefen die beiden Frauen die Prat entlang nach Hause.
    Schon bevor Flor angefangen hatte, mit ihren Hunden zu reden, als seien wir es, war der Ojerosa zu Ohren gekommen, dass ihre ehemalige Freundin seit Monaten bemüht war, etwas über das Schicksal ihrer Angehörigen in Erfahrung zu bringen. Es kursierten die unterschiedlichsten Versionen über unseren Verbleib: Man habe gesehen, wie ich in den Zug verfrachtet wurde und dann in ein Flugzeug, wo man mich getötet habe. Jemand anders wollte in Iquique mit der Tita gesprochen und sie mit ihrem Baby auf dem Arm gesehen haben. Besonders Schlaue glaubten zu wissen, wo man uns verscharrt habe. Die Ojerosa mutmaßte, dass Flor über all diese Ungeheuerlichkeiten, die sie sich anhören musste, erst in Resignation verfallen und schließlich verrückt geworden war. Und weil sie das begriff, so glaube ich, vielleicht liege ich ja falsch, fasste sie sich ein Herz und sah kein Problem darin, sich die Nase zuzuhalten und unser Haus gründlich zu putzen. Die zum Skelett abgemagerten Hündchen wurden wieder aufgepäppelt. Die sorgfältig gefaltete Babykleidung ließ sie von einer jungen Frau abholen, die einen Monat später ein Kind zur Welt bringen sollte und in den Sachen einen wertvollen Schatz erkannte. Die Ojerosa half meiner Flor, so gut sie konnte, als wollte sie die vier getrennt verbrachten Jahrzehnte wiedergutmachen undin die Jahre ihrer gemeinsamen Jugend zurückkehren, als sie noch Hand in Hand über die Felder gerannt waren. Das Gehirn ist ein Labyrinth, dem niemand entkommt, was dieses plötzliche Aufflammen der Jugenderinnerungen aufs Neue beweist.
    »Schaut mal! Da kommen die beiden Spinnerinnen«, riefen die Dorfbewohner, wenn sie die Freundinnen auf dem Weg zum Friedhof sahen. Eine ihrer Hauptbeschäftigungen bestand darin, ganze
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