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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot
Autoren: Thomas Raab
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Grundsätzlich will der Willibald immer nachhause, außer er spürt eine Schwere in sich, die aufgefangen werden muss, bevor er in sich selber durchbricht; oder er wird von einer Djurkovic-Sehnsucht durchströmt, was ja laut seiner individuellen Zeitrechnung gar nicht so selten vorkommt. Viel zu selten natürlich für Danjela Djurkovic, und nachdem in der Beziehung zweier schon sehr erwachsener Einzelgänger die Phase des schonungslosen „Wir sagen, was wir uns denken!“ vor lauter Respekt und Achtung spät bis nie eintritt, bleibt den beiden also ein Gespräch über die bevorstehende Frage „Gehen wir zu dir oder zu mir, oder geht jeder nachhause oder wie geht’s jetzt weiter?“ verwehrt.
    Diesmal kündigt der Metzger an, dass er sich nicht wohl fühlt, und das ist durchaus ehrlich gemeint. Somit ist der Djurkovic klar, der Metzger wird nachhause gehen, allein, das braucht er gar nicht mehr dazusagen. Und da die beiden noch einander glauben, was sie sich sagen, erspart sich die Danjela den Gedanken, der Willibald könnte sie indirekt nur loswerden wollen, und meint: „Na, arme Junge, bist du gewesen zu lange in Freien und alte Knochen rebellieren!“ Sie erspart sich aber nicht den kleinen Schmerz des nun immer noch offenen Rätsels: Wie geht es weiter? Der Metzger weiß ja längst, weiter geht’s nur noch mit der Djurkovic, die kommt ihm nicht mehr aus, die Djurkovic sieht aber immer noch keinen Metzger-Wohnungsschlüssel an ihrem Schlüsselbund und umgekehrt, und genau das wäre in ihrer Vorstellung der nächste Schritt im Bezug auf alles Weitere.
    Heute allerdings, da würde sich der Metzger eine ziemliche Abfuhr einfangen, wäre ihm nach einem Abend in trauter Zweisamkeit zumute, denn heute will auch ausnahmsweise die Djurkovic nachhause, und zwar ebenso allein. Wenn der Willibald allerdings wüsste, warum, so groß könnte sein Einsamkeitsbedürfnis gar nicht sein, keinen Schritt würde er von der gewichtigen Seite seiner Danjela weichen.

5
    Müde, seelisch angeschlagen stapft der Metzger die Stiegen hinauf in seine Altbaumansardenwohnung. Das war keine Kleinigkeit, der erste Fußballplatzbesuch nach hartnäckigen Überredungsversuchen und dann gleich so was. Auf diese krasse Verdeutlichung seiner Gewissheit „Sport ist Mord“, alle körperlichen Fitnesszuckungen betreffend, hätte er gerne verzichtet, genauso wie auf diesen leichten wiederkehrenden Schmerz in Danjelas Augen, immer wenn er sich für einen Soloabgang in Richtung seiner eigenen vier Wände entscheidet. Als wäre es ein Abschied auf ewig!
    Trotz aller unabstreitbaren Liebe ist seine gelegentliche Sehnsucht nach Zurückgezogenheit drängender als der Pseudoabschiedsschmerz im Djurkovic-Blick, den er sich diesmal allerdings nur eingebildet hat. Mag rücksichtslos klingen, nur für den Willibald beginnt Treue mit der Treue zu sich selbst, das hat er gelernt im Lauf seiner menschenscheuen Restauratorenisolation, und wenn er verlernt, auf seine innere Stimme zu hören, wird es ihm bald genauso gehen wie auf dem Fußballplatz in Anbetracht der maskulinen Fremdwortungetüme – er wird trotz germanistischer Ahnenreihe die eigene Sprache nicht mehr verstehen. Und für den zentralen Ruf kein Ohr mehr zu haben, ist ganz schlecht.
    So sperrt er also seine Wohnung auf, der Metzger, sein Reich, seinen Hort der Aufgeräumtheit, in den sich dank Danjela erfreulicherweise einige weibliche Utensilien eingeschlichen haben, von denen der Willibald keines mehr missen möchte.
    Sein Abend folgt für gewöhnlich, bei einer Soloheimkehr, immer dem gleichen Muster. Jackett in die Garderobe hängen, Schweinslederschuhe fein säuberlich in der Plastikschuhschale parken zwecks Austausch mit den ausgefransten Lederhausschlapfen, erste kurze Grundreinigung im Bad, die offene Flasche Blaufränkischen vom Vorzimmer-Biedermeiertischchen holen und gemütlich lesen, ins Leere starren, Wein schlürfen und Halbschlaf absolvieren auf seinem Chesterfieldsofa. Fernseher gibt es hier keinen, ins Leere starren ist dem Willibald Adrian fernsehen genug.
    Diesmal fällt die übliche Routine bereits im Vorzimmer einer leichten Irritation zum Opfer, denn beim Aufschnüren der Schweinsledernen erschreckt den Metzger ein leichtes Rascheln aus seiner hinteren Körperhälfte. Ein dezenter innerer Ruck und der ängstliche Gedanke, ob der menschliche Zerfallsprozess bereits zu Lebzeiten von einem krematorischen Knistern begleitet wird, erübrigen sich, nachdem der Willibald seinem
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