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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot
Autoren: Thomas Raab
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geistige Eiszeit, auf der Fensterscheibe seiner Werkstatt all jene Fußballergesichter, die keiner mehr tauschen muss. Und die kleben gut.
    Wenn der Kwabena Owuso bei diversen Klubs auch so gut picken geblieben wäre wie die Bilder auf Willibalds Auslage, hätte er sich den Wechsel zu seiner letzten Mannschaft vielleicht erspart, und der Metzger eine weitere schlechte Erfahrung.
    Kwabena Owuso wird nicht mehr erleben, dass ein 14-Jähriger ein Abziehbildchen mit seiner Visage in ein Album klebt, dafür wird der Metzger erleben, wie sehr ein bisher unbedeutender Sportler durch seinen Spontanabgang dermaßen die Schlagzeilen in Beschlag nimmt, dass alle 14-Jährigen von selber sein Foto aus den Zeitungen ausschneiden und auf ihre Schreibtische, Schulübungshefte, über ihre Betten und auf ihre Kinderzimmereingangstüren kleben, dass es die reinste Freude ist. Vom Niemand zum Helden braucht es nur ein kleines öffentliches Dahinscheiden.

    Mittlerweile hat sich das Stadion beinah bis auf den letzten Platz geleert, und während sich draußen die Leute friedlich wie sonst nie in ihre Autos zwängen und diszipliniert in einer elendslangen Kolonne, das Schritttempo beinah meditativ zelebrierend, zur Hauptstraße pilgern, beginnen im Stadion Ausländer, die bisher weder von der Liga noch vom Staat als würdig erachtet wurden, zumindest mit einer Arbeitsgenehmigung ausgestattet zu werden, den Dreck einzusammeln, den die Besucher verursacht haben, als wären sie eine ganze Woche hier gewesen.
    Erst durch das behutsame Deuten eines älteren Mist sammelnden Herrn wird dem Metzger und der Djurkovic klar, dass es Zeit wäre zu gehen.
    Und da eröffnet sich nun immer der Pferdefuß einer frischen Bekanntschaft, dieser allerersten eigentlich richtigen Beziehung des Willibald Adrian mit genau diesem Thema: dem Gehen.
    Behutsam gehen die beiden miteinander um, aber je behutsamer die Djurkovic den Metzger in die Richtung bearbeitet, das Gehen als ständigen gemeinsamen Prozess zu veranstalten, desto mehr ist dem Metzger immer nach gehen zumute. Kein Thema für die Djurkovic, der Willibald könnte umgehend zu ihr in die Dienstwohnung ziehen, könnte augenblicklich einen Wohnungsschlüssel ausgehändigt bekommen, könnte ohne Zögern eine ganze Kastenseite abbekommen, samt halbem Waschtisch und dazugehörigen Barthaaren im Waschbecken, nur für den Willibald ist das alles eben auch kein Thema, und hier beginnt das Problem.
    Nicht, dass der Metzger nicht erfüllt wäre von der Gewissheit: Die Djurkovic ist es, die Richtige, das Nonplusultra seiner Vorstellung von Weiblichkeit und Bleibenwollen, nur ist das noch lang kein ausreichender Grund, aus zwei Leben eines zu kreieren. Das geht auch nicht, zumindest in Willibald Adrians naivem Verständnis von Beziehungsführung, die immer wieder bei der Frage ankommt: Müssen verschiedene Geschmäcker, Gewohnheiten und Lebensstile zusammengeworfen in einem großen gusseisernen Kochtopf mit gleichmäßigen Alltagsrührbewegungen zu einem Einheitsbrei namens Partnerschaft vermantscht werden, bis darin eine abgestandene geschmacklose Brühe vor sich hinköchelt, für die gilt, jede Würze von außen wird die Suppe kräftig versalzen?
    Dass es aber nur sehr wenige Frauen gibt, die sich einen Lebenspartner suchen, sei er auch noch so eigenbrötlerisch, damit sie aus der Ferne seinen egomanischen Habitus bewundern können, damit sie gelegentlich in seine Welt eintauchen dürfen wie ein Astronaut in eine ferne Galaxie, wird der Metzger bald zu spüren bekommen. Die Mannsbilder sind nicht die Jäger, die Mannsbilder sind vielleicht kurz die Jäger, aber dann die Gejagten von der weiblichen Sehnsucht nach Einklang, Zusammengehörigkeit und Beständigkeit. Und wenn dann die hurtigen Männerherzen am Ende ihrer Flucht, und die kann sehr lange dauern, erschöpft in ihrer undekorierten Einsamkeit landen, wäre so eine Madame mit ihrem Einklang-, Zusammengehörigkeits- und Konstanzbedürfnis doch allemal die bessere Lösung. So lange wird die Hetzjagd beim Willibald aber gar nicht dauern.
    Das Problem also beginnt damit, dass die Djurkovic neben dem Metzger das Schweigen liebt, und umgekehrt, solange es sich nicht um das Schweigen in Anbetracht der unausweichlich bevorstehenden Frage handelt: „Gehen wir zu dir oder zu mir, oder geht jeder nachhause oder wie geht’s jetzt weiter?“
    Eine Lähmung tritt hier ein, und jede Leichtigkeit ist dahin wie bald der Tschadsee, die Pasterze, der Eisbär und die Bienen.
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