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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot
Autoren: Thomas Raab
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gekommen wäre, sie hätte nicht helfen können. Wenn so ein Herz nicht mehr schlagen will, kann so ein kleiner Elektroschock gelegentlich schon den Willen dieses Organs vom Gegenteil überzeugen, aber wenn es nicht mehr schlagen soll, dann kann so ein Defibrillator heiß laufen ohne die geringste Herzmuskelzuckung.
    Mit Kwabena Owuso ist es vorbei, und nach diesem Auftritt wird als Todesursache der plötzliche Herztod in die Akten eingetragen. Im Grunde stimmt das ja auch! Und es ist gut so.
    Was bitte ist daran auch verwerflich an so einer dezenten Beglückung, wenn man das Schreckliche an diesem Szenario ausblendet und den Betroffenen selbst betrachtet. Da jedem ja irgendwann diese letzte Eintrittskarte gelöst wird, das steht außer Frage, und so manchem die Angst der ungewissen Gestaltung dieses gezwungenen Abganges gelegentlich schlaflose Nächte bereitet, klingt so eine überraschende Direktüberweisung, so eine schmerzlose Spontantransformation, ehrlich gesagt gar nicht schlecht. Das ist, als stürbe ein Priester während der Wandlung, der Meisterkoch beim Flambieren, der Turniertänzer während einer Hebefigur und der Liebhaber beim Koitus. Für die Zurückgebliebenen ein Horror, für den Toten aber ein Segen.
    Und warum sollen sich immer nur die so billig aus dem Leben Geschiedenen über diesen raschen Abgang freuen? Die meiste Trauer ist Heuchelei, davon ist sie überzeugt, genauso wie davon, dem Kwabena im Grunde eine Freude gemacht zu haben – und sich und langfristig dem ganzen Verein. Und deshalb, verdammt noch mal, darf sie auch zufrieden lächeln, immerhin haben ja alle was davon.
    Die Frage ist nur, ob sich Kwabena Owuso nun auch wirklich freut, wenn er im Angesicht des Herrgottes erfährt, dass der Himmelvater selbst mit der kurzfristigen Abholung genauso viel zu tun hat wie mit der Wahl seiner irdischen Vertretung.
    Ihr ist das egal, genauso egal wie das Dahinscheiden des Tormanns. Nicht, dass ihr grundsätzlich ein Menschenleben nichts bedeutet, nur wenn sie der Mensch eher an ein Tier erinnert, was soll’s – in China sterben auch Hunde und keinen schert’s, sie werden sogar kross angebraten! Aufgewachsen ist sie in der Vorstadt, dort, wo das Faustrecht entscheidet, ob man den Überblick bewahren kann oder nicht. Wer sich diesbezüglich nicht durchsetzen konnte, war mit verschwollenen Augen gesegnet, weil eines war klar: Wenn zugeschlagen wurde, dann garantiert aufs Auge, und dann war es vorbei mit dem Überblick. Logisch, dass es ihr dank der Verknüpfung Frau und Vorstadt anfangs unmöglich war, ihren „Mann“ zu stehen, und logisch, dass weiblich zu sein, gerade da, wo sie aufwachsen durfte, gleichzeitig bedeutete, gelegentlich mit verschwollenen Augen durchs Leben navigieren zu müssen. Es gehörte in der Männerwelt ihrer Siedlung zum guten Ton, dass jeder seiner Geliebten nach einigen Monaten zusätzlich zum Spitznamen „Schlampe“ dann und wann ein blaues Auge verpasste, sozusagen als wandelnde Reviermarkierung. Da war dann allen klar: Diese Braut ist vergeben. Nicht dran zu denken, dass jemals irgendein Streifenwagen deswegen angehalten hätte, da musste schon was Gröberes passieren.

    Nichts beschäftigt die Menschen so sehr wie die gründliche Pflege eingeschworener Feindschaften, und nichts kann ihnen so viel Mut eintrichtern bis zur Selbstvernichtung wie Hass. Kein Wunder also, dass dieses Muster dort, wo Gottes vergessene Kinder am Rand der Großstädte dieser Welt vom modernen Zeitgeist gerade mal die Arbeitslosigkeit verpasst bekommen, prächtig funktioniert. Und genau dorthin, in die leer gewordenen Wohnungen schickt die „Stadtplanung“, die eben erst zum gar nicht zugesicherten Verbleib zugereisten Gäste aus den benachbarten bis weit entlegenen Ländern niedrigeren Standards! Wobei mit Standards Begriffe wie Recht auf Bildung, auf Nahrung, auf Sicherheit, auf soziale Grundversorgung, auf Freiheit gemeint sind – also jene Kleinigkeiten, die oft nur ein paar Kilometer weiter, um nicht zu sagen auf der anderen Straßenseite, so zwischendurch konsumiert werden als soziales Fastfood, ohne die Klarheit, wie gut sie eigentlich schmecken.
    Klug, diese politisch gesteuerte Besiedelungspolitik! Da entstehen Gettos am Stadtrand, in manchen Städten sogar schon in zentralen Bezirken, wo eine Schule drei Gassen weiter den Eindruck vermittelt, sie befinde sich in einem anderen Land. Äußerst klug, denn warum bitte sollen sich diese Gettos nicht genauso nach außen
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