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Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Thomas Raab
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und Ancilotti, dann aber sofort wieder die Familien Botoschek, Wodwarka und Dragowic.
    Wer also wissen will, was er mit seinem handflächengroßen Universal-Wörterbuch und den fix ausformulierten Übersetzungen wie »Guten Tag«, »Wie heißen Sie?«, »Wie alt sind Sie?«, »Sind Sie verheiratet?« ausrichten kann, muss sich schon ein paar Kilometer ins Landesinnere begeben, denn innerhalb der Liegestuhlreihen ist die Umgangssprache Deutsch. Ein Kurztrip in die Fremde reicht eben nicht, um den Urlauber zum Sprachakrobaten mutieren zu lassen, außer natürlich die Fremde hört auf Eleonora, Giorgia oder Alessandra.
    Wie gesagt, es sind also hauptsächlich Familien, die da ihre bunten Handtücher auf den Liegenstühlen plaziert haben, was bedeutet, aus der Vogelperspektive gleicht der Strand einer gigantischen Werbefläche: Von Hello Kitty bis Barbie, von Schlümpfen bis Marvel Comics, von Dreamworks bis Walt Disney, hier fehlt nichts.
    Die Schattenplätze unter den Schirmen sind also fest in Kinderhand, die dazugehörigen Liegen in der Hand halbtot wirkender, großwüchsiger Menschenleiber, die unter Urlaub nicht unbedingt verstehen, paarbeziehungstechnisch später als gewohnt ins Bett zu gehen und dafür noch früher als sonst von der nur so voll Tatendrang strotzenden Brut in den Sonnenaufgang eskortiert zu werden.
    Die Eltern eines kleinen, blonden, etwa sieben Jahre alten Jungen zwei Schirme weiter rechts dürfte es am Vorabend jedenfalls bedenklich heftig erwischt haben. Mit »So, Rolf, hier ist dein Spielzeug« entleeren sie zwei große Taschen, versinken in ihren vorreservierten Liegen und sind dann auch dermaßen in sich versunken, da kann sich der kleine Rolf auf den Kopf stellen oder weiß Gott was für Zirkusnummern einfallen lassen. Und das tut er.
    Aus dem anfangs stillen Sandspiel wird ein nervöses Gezappel, ein Umkreisen der Eltern, ein burleskes Herumgehopse, eine kleine Leistungsschau an Turnübungen, vergeblich. So schnappt er sich also seine funkelnagelneue Strandmuschel, malträtiert mitleidlos das Karbongestänge, faltet das zum Schutz vor Wind und Sonne dienende Halbzelt ein, lässt es auseinanderschnalzen, katapultiert dabei den Sand in die Luft, auf dass es nur so herabrieselt auf seine brachliegenden Eltern, nur, da wird nicht reagiert. Sein blonder Pagenschnitt baumelt hin und her, sein Gesicht zeigt eine Verbissenheit, als wäre ihm das Biegen der Stangen nicht genug, was zumindest von einem vorbeispazierenden älteren Herrn nicht unbemerkt bleibt: »Die Muschel ist schon offen, du musst sie nicht aufbrechen.«
    Also greift er zum in Unmengen vorhandenen Werkzeug. Langweilig werden sollte dem Bengel jedenfalls nicht, in puncto Unterhaltungsmittel hat er ja alles. Nur sind halt Unterhaltungsmittel ohne Unterhaltung nur mehr Mittel, und genau die fehlen ihm, um von den offenbar nicht mittellosen Eltern unterhalten zu werden. Da ist das vergnügte, zwei Schirme weiter rechts vernehmbare »Ela, nein! Weg da, Jole, ich mag keinen Sand essen!« natürlich Salz auf Rolfis Wunden.
    Flankiert von zwei entzückenden Prinzessinnen, eine etwa acht, die andere fünf Jahre, kniet ein Vater in einer imaginären Küche und backt Sandkuchen. Lange dauert es nicht, und aus der Konditorei wird ein Bauunternehmen, der Herr Papa zum Wasserträger, und mit dem feuchten Sand werden die ersten kleinen Türmchen errichtet.
    Thronfolger Rolf hingegen ist nach wie vor Alleinunterhalter, spickt mittlerweile jede seiner Tätigkeiten mit einem äußerst schrillen, atonalen Singsang – und, zugegeben, es nervt gewaltig, dieses Dokument einer praktizierten »Erziehung zur Freiheit«. Unter Umständen meint diese Freiheit nämlich nicht die Freiheit des Kindes, sondern die Freiheit der Erwachsenen, sprich die dem Kind zugestandene Freiheit als Vorwand für die vom Erwachsenen praktizierte Ignoranz und Bequemlichkeit.
    Immerhin sieht der Metzger dem Treiben nun seit geraumer Zeit zu, und alles, was Rolf bisher bewirken konnte, sind das väterliche Zücken eines Tablet-Computers und das mütterliche Zücken eines Buches. Also zückt der Bub seine langstielige Plastikschaufel, buddelt in die Tiefe, und eine Bautätigkeit legt er an den Tag, so schnell gebaut wird ansonsten nur nach Bestechung. Schließlich erklärt er fröhlich: »Papa, setz dich rein!«
    Eine Beisetzung also. Und endlich tut sich was. Ohne den Blick zu heben, erklärt der Herr Papa: »Toll hast du das gemacht, Rolfi, ein wirklich tolles Loch ist das!
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