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Der Memory Code

Der Memory Code

Titel: Der Memory Code
Autoren: M.j. Rose
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Hirn nach ihrer Bedeutung, ihrer Ursache. Es war anders als bei Träumen, die mit der Zeit verblassen, bis sie so gut wie vergessen sind. Nein, Josh kämpfte mit endlos ineinander verzahnten Sequenzen, die sich nie veränderten, nie weiterentwickelten, nie preisgaben, was sich unter ihrer grausigen Oberfläche noch verbarg. Es waren blau-schwarz-dunkelrote Trugbilder, die tagsüber auftraten, wenn er wach war. Sie peinigten ihn unbarmherzig, bis seine ohnehin angeschlagene Ehe endgültig zerrüttet war, und sie entfremdeten ihn zudem von vielen Freunden, die den ruhelosen Mann nicht wiedererkannten, zu dem er geworden war. Josh interessierte nur noch die Suche nach einer Erklärung für die Schübe, die er seit dem Bombenanschlag erlebte – sechs davon bisher in aller Ausführlichkeit und Dutzende andere, die er erfolgreich verdrängt und verhindert hatte.
    Als bestünden sie aus Feuer, verbrannten, versengten, verkohlten diese Wahnvorstellungen seine Fähigkeit, der Mensch zu sein, der er immer gewesen war. Sie zerstörten auch seine Gabe zu funktionieren oder zumindest einen Anschein von Normalität zu wahren. Nur zu oft wurde er blass, wenn er in den Spiegel sah. Sein Lächeln wollte nicht mehr recht wirken. Die Falten in seinem Gesicht waren gleichsam über Nacht tiefer geworden. Am schlimmsten stand es um die Augen: Sie sahen aus, als stecke außer ihm noch jemand dort drinnen und warte nur darauf, entkommen zu können. Er wurde verfolgt von den Gedanken, die unaufhaltsam über ihn hereinbrachen wie eine riesige, steigende Flut.
    Er lebte in ständiger Furcht vor seinem eigenen Denken, das diese bruchstückhaften kaleidoskopischen Bilder heraufbeschwor: Mal von einem verstörten jungen Mann im New York des 19. Jahrhunderts, dann wieder von einem Jüngling im alten Rom, gefangen in erbarmungslosem Ringen, und schließlich von einer Frau, die alles aufgegeben hatte für ihre todbringende Leidenschaft zu diesem jungen Römer. Im Mondlicht schimmernd, bedeckt mit schillernd funkelnden Wassertropfen, die Arme ausgestreckt, rief sie ihn, bot sie ihm dieselbe Zuflucht wie er umgekehrt auch ihr. Den grausamsten Streich spielte Josh die Intensität, mit der sein Körper auf diese Erscheinung reagierte. Die Wollust. Die steinharte Begierde, die seinen Körper zu einem einzigen, quälenden Sehnen werden ließ: Dem Verlangen, ihren Duft zu riechen, ihre Haut zu berühren, in ihren Augen zu versinken, sich ganz in ihr zu versenken. Ihr Gesicht zu betrachten, wenn es zerfloss vor ungehemmter Lust, schamlos und wie von Sinnen, wohl wissend, dass auch er sich bedingungslos ergab. Sie konnten sich nicht beherrschen. Das wäre ihres Frevels unwürdig gewesen.
    Nein, hier handelte es sich keineswegs um durch posttraumatischen Stress hervorgerufene Rückblenden oder psychotische Schübe. Diese Erscheinungen erschütterten ihn bis ins Mark; sein Leben geriet aus den Fugen. Sie marterten ihn, übermannten ihn, machten es ihm unmöglich, in jene Welt zurückzukehren, die er vor dem Attentat gekannt hatte, vor dem Krankenhausaufenthalt, vor dem endgültigen Bruch mit seiner Frau.
    Nach Ansicht seines letzten Therapeuten konnten die Halluzinationen möglicherweise auch neurologische Ursachen haben. Daher wandte sich Josh an einen namhaften Spezialisten. Er hoffte – so aberwitzig das auch klingen mochte –, der Nervenspezialist würde vielleicht eine durch den Anschlag ausgelöste und bislang unentdeckt gebliebene Hirnverletzung diagnostizieren. Das hätte immerhin die Wachalbträume erklärt, mit denen Josh sich herumplagte. Als die Untersuchungen ohne Befund blieben, war er untröstlich.
    Josh gingen die Alternativen aus. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Unmögliche und Unvorstellbare zu erforschen. Die Suche zehrte ihn aus, doch aufgeben wollte er nicht. Er musste der Sache auf den Grund gehen, selbst wenn das hieß, sich mit etwas abzufinden, das er weder glauben noch sich vorstellen mochte: Entweder war er verrückt, oder er hatte die Fähigkeit entwickelt, sich in Leben wiederzufinden, die er vor seiner gegenwärtigen Existenz gelebt hatte. Endgültige Gewissheit versprach nur ein Weg: herauszufinden, ob es Reinkarnation wirklich gab, ob Wiedergeburt tatsächlich möglich war.
    Diese Frage führte ihn schließlich zur Phoenix Foundation, zu Beryl Talmage und Malachai Samuels. In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren hatten die beiden Wissenschaftler über dreitausend Fälle von Rückführungserlebnissen von Kindern
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