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Der Meisterdieb

Der Meisterdieb

Titel: Der Meisterdieb
Autoren: Hans Kneifel
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Resten alter Säulen und auf breiten Holzbohlen. Als ich taumelnd zum Stehen kam, lachten sie höhnisch.
    Ein Peitschenhieb, dessen Schmerz mich einen Satz machen ließ, traf meine nackten Schultern. In meinen Schrei hinein sagte eine knarrende Stimme: »Und hier die Perle dieser Versteigerung. Ein wohlgenährter, mutiger Knabe, voll gerissener Klugheit, schnell und wortgewandt. Als Genosse eines Diebes, eines Bettlers oder Beutelschneiders ist er ein unentbehrlicher Bestandteil des Stadtbilds. Wer bietet mehr als sieben Eisenmünzen?«
    Ich war mager, keineswegs mutig und wortgewandt schon gar nicht. Mitleidlos begutachteten mich die Käufer. Schließlich hob ein fast zahnloser alter Mann die dürre Hand und krächzte: »Acht Münzen. Höher gehe ich nicht. Ich bin Alaid Gur, der Bettler.«
    Ich bot sicherlich einen mehr als jämmerlichen Anblick. Mager, wie nur ein Knabe von sieben Sommern sein konnte; schmutzig und mit wenigen Kleidungsfetzen, mit blutverschmiertem Gesicht und den frischen Striemen der Peitsche. Ich zitterte und wand mich unter dem Griff eines Knechtes. Niemand bot mehr als acht Münzen, und dann packte mich eine Hand und stieß mich von den Quadern hinunter. Ich fiel vor die Füße des alten Bettlers, die in löchrigen Stiefeln steckten.
    Sofort traf mich der scharfe Hieb eines biegsamen Stockes. Die schrille Stimme des Bettlers sagte: »Jetzt gehörst du mir. Du tust, was ich sage. Aufstehen!«
    Ich kam zitternd und schluchzend auf die Beine. Mit halb geschlossenen Augen, kalt wie die eines Raubvogels, musterte mich Alaid Gur. »Wie nennt man dich?«
    »Arruf«, brachte ich heraus. Wieder zuckte der Stock hoch und brannte eine blutige Spur über meine Schultern.
    »Das heißt: Arruf, Herr Gur! Verstanden?« belehrte lieh der Bettler. Ich hasste ihn und beschloss, ihn bei der ersten Gelegenheit zu töten. Ich senkte den Kopf, würgte leinen Hass hinunter und erwiderte halblaut: »Ich heiße Arruf, Herr Gur.«
    Der Bettler packte mich mit seinen eisenharten Klauen am Oberarm und schleppte mich mit sich. Einige Knechte öffneten und schlossen vor und hinter uns schmale Türen. Aus kleinen Kammern hinter den mächtigen Mauern der Karawanserei drangen Schluchzen, die Geräusche von Schlägen, Gestöhne und Flüche. Die Zimmer und Gewölbe schienen voller Sklavinnen und Sklaven zu sein. Mein neuer Herr, der Bettler Alaid Gur, humpelte eine lange Treppe aufwärts und gelangte so auf eine weiter oben liegende Terrasse der wunderbaren, von heiterem Leben erfüllten Stadt Sarphand.
    Ein halbes Jahr, mehr als hundertfünfzig verfluchte Tage und Nächte, war ich in Gurs Gewalt.
    Ich durfte mich nur dann waschen, wenn ein Regenguss über die Terrassen Sarphands hinwegrauschte und den Dreck über die Stufen, Treppen und Rampen spülte. Denn nur einem schmutzigen, vor Hunger zitternden Knaben warfen die Vorübergehenden kleine Münzen zu. Statt der Leckerbissen, die sich Gur von dem Erbettelten an den Hintertüren der Schenken kaufte, bekam ich Stockschläge. Meine einzige Kleidung waren der Sklavenring und ein vor Schmutz starrender Lendenschurz, dessen ausgefranste Ränder die Haut meiner Schenkel aufrieben. Mondelang eiterten die Wunden, bis mich schließlich ein barmherziger Medizinmann in die Hände bekam und eine übelriechende graue Salbe darauf strich. Als Gur die Salbe bemerkte, prügelte er mich wieder. Ich trank Regenwasser und aß Brotrinden. Fast jeder, der mich sah, war voller Mitleid, denn meine Knochen stachen durch die Haut, von der nicht einmal ich sagen konnte, ob sie von der Sonne verbrannt oder dreckig war.
    Meine jungen Muskeln aber gediehen unter dieser Behandlung. Sie wurden dünn wie Leder und hart wie Bronze.
    Und ich lernte jeden Stein in Sarphand kennen. Wohlgemerkt, von der unteren Straßenkante her, nicht von den Terrassen oder aus dem Schatten der Palastgärten.
    Der lederne Beutel, den Alaid Gur unter seinem schmierigen Hüftgürtel trug, füllte sich mehr und mehr mit Münzen, die mir von mitleidigen Menschen zugeworfen worden waren.
    Ab und zu verschwand der Alte in der Stube eines Wechslers. Dann hatte er viele eiserne und silberne Münzen in einige wenige aus Gold getauscht, die in seinem Sack nicht viel Platz wegnahmen. Bei einem der Gänge, die er stets im Schutz der Dunkelheit unternahm, musste ihn einer aus der Gilde der Halsdurchschneider gesehen haben. Es war eine schwüle Sommernacht, und ich wachte auf, als aus einer Dachrinne das Wasser eines Gewitterregens genau
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