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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Delft zu fahren. Es war ein plötzlicher Impuls, es gab nichts mehr, was sie hätte lernen können, der Ausflug würde ihr gut tun. Sie wollte unangemeldet vor der Tür dieser Antje stehen, klingeln, ihren Namen nennen und nach Laura fragen. Es war nicht Neugier, die sie antrieb, sie wollte nichts fragen oder mitteilen. Sie würde eine halbe Stunde bleiben, wenn möglich schweigend auf dem Sofa sitzen und sich den Geruch des Wohnzimmers und die Bewegungen und die Stimme ihrer Schwester wie die Sequenz eines Films einprägen. Sicher gab es einen Hund, den würde sie streicheln.
    Delft war größer, als Ursula sich eine Stadt vorgestellt hatte, die wegen der Herstellung von Kacheln berühmt war. Es regnete, das Informationsbüro war geschlossen. Am Bahnhof fragte sie einen Taxifahrer nach der Adresse. Der war in ein Kreuzworträtsel vertieft und deutete nur mit dem Kinn: «Geradeaus!» Die Stadt wirkte ausgestorben, die Touristen waren abgereist, der Sommer war überstanden, die alten Häuser lehnten sich erschöpft aneinander. Nirgends war ein Geschäft, in dem sie sich einen Schirm hätte kaufen können. Ursula spürte, wie ihr das Wasser in die Schuhe lief. Sie ging schneller, um nicht zu frieren, überquerte eine Ausfahrtsstraßeund kam in eine Neubausiedlung mit Reihen gleicher Backsteinhäuser. Die Straßen waren leer. Es herrschte eine bedrückende Stille, als hätte die Polizei ein Ausgehverbot verhängt. Kein Hund bellte in den Vorgärten, keine Katze lief über den Bürgersteig, in den Hecken zwitscherten keine Vögel. Ein Straßenkehrer war das einzige Lebewesen. Er schob mit einem Besen in kurzen, ruckartigen Bewegungen ein paar Blätter den Bordstein entlang, bis er einen Abfallbehälter auf einem Rohrgestell mit zwei Rädern erreichte. Ursula sprach ihn an. Aber noch bevor sie ihm erklären konnte, was sie suchte, blickte er freundlich zu ihr auf und schüttelte den Kopf. Er verstand sie nicht.
    Durchnässt bis auf die Haut, nahm sie eine Abkürzung, merkte, dass sie die Orientierung verlor, hielt sich rechts und wollte gerade aufgeben, als sie wie durch ein Wunder vor der gesuchten Adresse stand. Sie schellte mit klammen Fingern. Einmal, zweimal. Schließlich öffnete ein Mann in Pantoffeln, das Hemd trug er offen über einem Schmerbauch. Er musterte Ursula misstrauisch. «Antje? Nie gehört. Nein, kein’ Ahnung. Eine schöne Tag noch!»
    Ursula steckte das Päckchen, das sie Laura hatte mitbringen wollen, zurück in die Tasche. In Seidenpapier gewickelt, war darin eine der Masken, die Bernhard vor einer Ewigkeit bei einem Händler in Yogyakarta erworben hatte.
    ***

1. Auflage. 2011
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2011
Umschlaggestaltung: Studio Binz, Zürich
Umschlagabbildung: plainpicture/Ingo Kukatz; Maske: Collectie Tropenmuseum, Amsterdam
ISBN Buch   978 3 406 62168-0
ISBN eBook 978 3 406 62169 7
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