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Der Maskensammler - Roman

Der Maskensammler - Roman

Titel: Der Maskensammler - Roman
Autoren: C.H.Beck
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Ohne Vorlage musste ihm die Maskierung gelingen, sonst würde ihn Candra Kirana nicht erkennen und nicht bei sich aufnehmen. Feine Linien in der Verlängerung der Mundwinkel verliehen seinem Gesicht einen heiteren Ausdruck, der ihn überraschte. Als Letztes tönte er seine Lippen mit einem schwärzlichen Rot.
    ***
    Mit hochgeschlagenem Mantelkragen und den Schirm einer Kappe tief in die Stirn gezogen, ging er, das Gesicht von der Empfangsdame abgewendet, schnellen Schrittes durch die Eingangshalle. Für zehn Uhr hatte er einen Termin beim Therapeuten, der würde vergeblich auf ihn warten, gereizt klingeln und ihn suchen lassen. Bernhard hatte eine halbe Stunde Vorsprung.
    Mit der scheinbaren Gelassenheit eines Spaziergängers machte er sich auf den Weg. Sein Ziel war das Gipfelkreuz des Hausberges. Das konnte er schaffen, wenn er seine Kräfte einteilte. Auf die Unternehmung hatte er sich vorbereitet. Er hatte die violetten und weißen Tabletten, die ihm morgens und abends vor den Mahlzeiten in einem Porzellanschälchen gereicht wurden, in einem Taschentuch gesammelt. Als er das letzte Haus der Ortschaft hinter sich gelassen hatte, warf er die Tabletten in ein Gebüsch. Jetzt begann der Anstieg.
    Bernhard bog nach circa einer halben Stunde vom Mittleren Steig ab in einen mit rot-weißen Strichen markierten Weg. Der stieg direkt steil an und war nichts anderes als ein ausgetrocknetes, mit lockerem Gestein ausgefülltes Bachbett. Bernhard musste sich konzentrieren, um mit seinen leichten Schuhen im Geröll Halt zufinden. Schlagartig fing er an zu schwitzen. Er glaubte zu spüren, wie die Poren seiner Haut sich öffneten und ihm Wasser über Brust und Rücken lief. Mit jedem Schritt wurde er leichter.
    Er hörte ein Keuchen. Um dem hässlichen Geräusch, das ihn verfolgte, zu entkommen, ging er schneller, stolperte. Ein Ast schlug ihm ins Gesicht. Auf halber Höhe hielt er inne. Seine Ohren waren jetzt taub. Er wollte etwas sagen, wollte den Berg um Nachsicht bitten, aber sein Körper war von einem Rauschen erfüllt, das seine Stimme übertönte.
    Nach einer weiteren Stunde erreichte Bernhard die Baumgrenze. Hier wehte ein scharfer Wind, den er als wohltuend empfand. Der Schweiß hatte seine Augen verklebt, er hielt sie geschlossen. In der Dunkelheit sah er einen leuchtend weißen Punkt, der mit unermesslicher Geschwindigkeit auf ihn zukam. Aber er fürchtete sich nicht. Er atmete tief. Die Luft strich durch ihn hindurch, so durchlässig war er geworden.
    Er kam vom Weg ab. Nadeln stachen durch seine Hose. Er drängte vorwärts, weit konnte es nicht sein. Als er die Felsplatte erreichte, senkte er den Kopf und rieb sich die Augen wie ein Kind, das gerade aus tiefem Schlaf erwacht. Weiter oben musste das Gipfelkreuz sein, bis da hinauf würde er es nicht schaffen. Er ging noch drei Schritte, bis seine Füße den Halt verloren.
    Da sah er hoch oben den Vogel, der über ihm seine Bahn zog. Hoch oben in einem unendlichen Blau.

17. Kapitel
    Im Gegensatz zu Nora löste Ursula ihr Versprechen ein. Sie schaffte im Haus «Diana» Ordnung. Als Erstes leerte sie Papierkörbe und Mülleimer, stand ratlos im Durchzug vor dem Kleiderschrank ihres Vaters und entschloss sich dann, um einen Überblick zu gewinnen, alle Gegenstände aufzulisten, die es nach ihrer Einschätzung wert waren, aufbewahrt zu werden. Als sie von Zimmer zu Zimmer ging, hatte sie den Rat ihrer Freundin im Ohr: «Nimm dir zwei oder drei Erinnerungsstücke, den Rest lass von einem Abräumer vom Hof schaffen!»
    Zuerst sichtete sie die Mappen mit Bernhards Zeichnungen: von den während einer Schiffsreise entstandenen Skizzen bis zu den Selbstporträts von seinem ersten Sanatoriumsaufenthalt. Die Bilder, die das scheue Mädchen zeigten, das sie einmal gewesen war, nahm sie an sich.
    Sich auf Bernhards Stuhl zu setzen und die Papiere auf seinem Schreibtisch durchzusehen, kostete sie Überwindung. An ihre Bluse hatte sie über die linke Brust die Libelle, die Brosche ihrer Großmutter, geheftet. Wie um sicher zu sein, dass er sie nicht beobachtete, blickte sie sich um, als sie in den Stapel griff. Zwischen Notizzettelchen – «Darf nicht vergessen, den Kaminkehrer anzurufen» oder: «Muss daran denken, Katrin zu sagen, dass sie den Reißverschluss meiner Hose erneuert» – und Werbedrucksachen mit handschriftlichen Bemerkungen – «Scheint mir preisgünstig zu sein» oder: «Das sollte man sich zur Probe kommen lassen» – lagen unbezahlte Rechnungen und
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