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Der Mann mit der Ledertasche.

Der Mann mit der Ledertasche.

Titel: Der Mann mit der Ledertasche.
Autoren: Charles Bukowski
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aufgemalt hat.«
»Nein, nein, das wurde in all den Jahren ausgeklügelt und immer wieder überprüft.«
Wozu das alles? Ich gab ihm keine Antwort.
»Ich werde mir das notieren müssen, Chinaski. Sie müs- sen dann zu einer Belehrung.«
Ich ging zurück und setzte mich. 11 Jahre! Ich hatte so wenig Geld in der Tasche wie damals, als ich hier anfing. 11 Jahre. Obwohl jede Nacht lang gewesen war, waren die Jahre doch schnell vorbeigegangen. Vielleicht war es eben diese Arbeit bei Nacht. Oder die ewige Wiederholung, im- mer dieselben Handgriffe. Damals bei Stone wußte ich we- nigstens nie, was ich zu erwarten hatte. Hier gab's keine Überraschungen.
11 Jahre schossen mir durch den Kopf. Ich hatte zuge- sehen, wie diese Arbeit Männer kaputt machte. Sie schienen zu zerschmelzen. Da war Jimmy Potts vom Dorsey-Postamt.
    Als ich ihn zum ersten Mal sah, war Jimmy ein gutgebauter Bursche in einem weißen Polohemd gewesen. Jetzt war er erledigt. Er stellte seinen Sitz so tief ein wie möglich und stützte sich mit den Füßen ab, um nicht herunterzufallen. Er war zu müde, sich die Haare schneiden zu lassen, und hatte seit drei Jahren dieselben Hosen an. Er wechselte das Hemd zweimal in der Woche und ging sehr langsam. Sie hatten ihn fertiggemacht. Er war 55. Bis zur Pension hatte er noch sieben Jahre.
    »Das schaff ich nie«, sagte er zu mir.
    Entweder zerschmolzen sie, oder sie wurden fett und mas- sig, vor allem um den Arsch und am Bauch. Es war der Hocker und immer dieselbe Bewegung und dasselbe Ge- schwätz. So weit war ich nun also, Schwindelanfälle und Schmerzen in den Armen, im Nacken, in der Brust, über- all. Ich schlief den ganzen Tag, um mich für den Job aus- zuruhen. Am Wochenende mußte ich trinken, um alles zu vergessen. Damals am Anfang wog ich 84 Kilo. Jetzt wog ich 101 Kilo. Das einzige, was man bewegte, war der rechte Arm.
    Ich betrat das Büro, um mich belehren zu lassen. Hinter dem Schreibtisch saß Eddie Beaver. Er hatte einen spitzen Kopf, eine spitze Nase, ein spitzes Kinn. Der ganze Mann war ein Spitz.
    »Setzen Sie sich, Chinaski.«
Beaver hatte verschiedene Papiere in der Hand. Er las sie. »Chinaski, Sie brauchten 28 Minuten, um einen 23-Mi- nuten-Korb zu leeren.«
    »Mann, bleiben Sie mir mit dem Scheißdreck vom Leib.
    Ich bin müde.«
»Was?«
»Ich sagte: »Bleiben Sie mir mit dem Scheißdreck vom
    Leib!< Lassen Sie mich den Wisch unterschreiben und zurück- gehen, Ich will mir das nicht alles anhören.«
»Ich bin hier, um Sie zu belehren, Chinaski!«
Ich seufzte. »Okay, schießen Sie los. Ich höre.«
»Wir müssen hier alle eine Mindestleistung bringen, Chinaski.«
»Sicher.«
»Und wenn Sie Ihre Leistung nicht bringen, heißt das, daß jemand anders Ihre Post verteilen muß. Das bedeutet Überstunden.«
»Wollen Sie damit sagen, daß ich für die dreieinhalb Überstunden verantwortlich bin, die Sie fast jede Nacht anhängen?«
»Hören Sie, Sie haben zu einem 23-Minuten-Korb 28 Mi- nuten gebraucht. Daran ist nicht zu rütteln.«
»So einfach ist das nicht. Das wissen Sie ganz genau. Jeder Korb ist sechzig Zentimeter lang. In manchen Körben sind dreimal, ja viermal soviel Briefe wie in anderen. Die Kollegen schnappen sich die »fetten« Körbe, wie sie's nen- nen. Ich mach mir erst gar nicht die Mühe. Irgendwer muß ja schließlich die großen Körbe übernehmen. Doch Ihr Bur- schen wißt immer nur, daß jeder Korb sechzig Zentimeter lang ist und in 23 Minuten leer sein muß. Wir stecken aber nicht die Körbe in die Fächer, sondern die Briefe.«
»Nein, nein, das ist alles genau berechnet worden!«
»Mag sein. Ich bezweifle es. Wenn Sie aber einen Mann mit der Stoppuhr überwachen, tun Sie das nicht nur bei einem Korb. Auch der große Babe Ruth hat gelegentlich mal daneben geschlagen. Beurteilen Sie einen Mann nach zehn Körben oder nach der Arbeit einer ganzen Nacht. Ihr Burschen klammert euch doch nur an diese Zahl, um jeden fertigzumachen, der euch in die Quere kommt.«
»Na schön, Sie haben Ihr Sprüchlein gesagt, Chinaski. Und jetzt rede ich: Sie haben 28 Minuten gebraucht, um einen Korb zu leeren. Das ist für uns das Entscheidende. Wenn Sie noch einmal dabei erwischt werden, daß Sie so langsam sind, werden Sie zu einer ERWEITERTEN BE- LEHRUNG geladen!«
»Schon gut, aber eine Frage hätte ich noch.«
»Bitte.«
»Angenommen, ich bekomme einen leichten Korb. Gele- gentlich kommt das ja vor. Manchmal schaffe ich einen Korb in fünf oder in acht Minuten. Nach der errechneten Norm
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