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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
Autoren: Sloan Wilson
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angeschlagene Gesellschaft heilen. Wie Tom sagt: »Am Zustand der Welt kann ich nichts ändern, aber mein Leben kann ich in Ordnung bringen.«
    Glaubt man an Liebe und Treue, Wahrheit und Gerechtigkeit, hat man am Ende von Der Mann im grauen Flanell möglicherweise Tränen in den Augen. Aber noch während einem das Herz schmilzt, ärgert man sich möglicherweise darüber, dass man dieser Regung nachgibt. Wie Frank Capra in seinen klebrigeren Filmen möchte Wilson uns glauben machen, dass ein Mann, wenn er nur wahren Mut und Ehrlichkeit zeigt, die perfekte Stelle in Fußnähe seines Hauses bekommt, der örtliche Immobilienmakler nicht betrügt, der Richter am Ort immer nur Recht spricht, der unbequeme Schurke zum Teufel gejagt wird, der Industriekapitän seine Anständigkeit und seinen Bürgersinn offenbart, die Wähler der Gemeinde sich um der Kinder willen mehr Steuern auferlegen, die ehemalige Geliebte in Übersee ihre Grenzen kennt und keinen Ärger macht und die Martini-Ehe gerettet wird.
    Ob man ihm das nun abkauft oder nicht, dem Roman gelingt es jedenfalls, den Geist der Fünfziger einzufangen – den unbehaglichen Konformismus, die Flucht vor Konflikten, den politischen Quietismus, den Kult der Kleinfamilie, die Annahme von Klassenprivilegien. Die Raths sind um einiges flanellgrauer, als ihnen offenbar klar wird. Was sie von ihren »langweiligen« Nachbarn unterscheidet, sind letztlich nicht ihre Leiden oder Verschrobenheiten, sondern ihre Tugenden. Auf den ersten Seiten des Buchs spielen die Raths mit Ironie und Widerstand, aber auf den letzten sammeln sie fröhlich Reichtum an. Der lächelnde Tom Rath aus Kapitel 41 wäre für den verwirrten Tom Rath aus Kapitel 1 ein Bild der Selbstgefälligkeit, ein Objekt von Furcht und Verachtung. Derweil bestreitet Betsy Rath emphatisch die Vorstellung, die Malaise der Vorstädte könnte systemische Ursachen haben. (»Heutzutage verlassen sich zu viele auf Erklärungen«, denkt sie, »und nicht genug auf Mut und Tat.«) Tom ist nicht verwirrt und unglücklich, weil der Krieg eine moralische Anarchie schafft oder weil das Unternehmen seines Arbeitgebers aus »Seifenopern, Werbespots und quasselndem Studiopublikum« besteht. Toms Probleme sind rein persönlicher Natur, so wie Betsys Aktivismus strikt lokal und häuslich ist. Auf die tieferen existenziellen Fragen, die vier Jahre Krieg (oder vier Wochen im Büro von United Broadcasting oder vier Tage Mutterschaft in einer langweiligen Straße in Westport) aufwerfen, wird verzichtet: vielleicht ein unvermeidliches Opfer der Dekade selbst.
    Der Mann im grauen Flanell ist ein Buch über die Fünfziger. Die erste Hälfte lässt sich noch immer zum Vergnügen lesen, die zweite als Ausblick auf die darauffolgenden Sechziger. Schließlich vermachten die Fünfziger den Sechzigern ihren Idealismus – und ihre Wut.
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