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Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Titel: Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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sich mechanisch an und hielt sich dann noch eine Weile in dem kalten Zimmer auf.
    Schließlich schob sie den Riegel zurück und öffnete die Tür. Oliver wird um sieben Uhr weggegangen sein, dachte sie. Er hat sicher längst die Wohnung verlassen. Ich kann in aller Ruhe meine Sachen packen. Sie ging ins Wohnzimmer, um dort nachzusehen, ob Oliver vielleicht einen Zettel für sie hinterlassen hatte. Irgendeinen Abschiedsgruß, oder sonst eine kurze Mitteilung. Hastig tastete sie mit den Blicken die Möbel ab, den Tisch, die Kredenz. Sie fand nirgends ein Stück Papier. Die polierten Flächen glänzten kalt und feindselig. Vor den Fenstern lagen noch die schweren Vorhänge. Evelyn ging hin und zog sie auf. Es wurde nicht viel heller im Zimmer. Grau wogte der Dunst vor den Scheiben auf und ab. Vor der Verbindungstür, die in das gemeinsame Schlafzimmer führte, blieb Evelyn stehen. Es kostete sie einige Überwindung, die Tür zu öffnen. Ich werde noch einmal aufräumen, dachte sie. Er soll am Abend alles so vorfinden, wie er es gewöhnt ist. Auch wenn er nur verächtlich darüber lachen wird. Langsam trat sie über die Schwelle. Es war völlig dunkel im Raum. Sie machte Licht. Dann stand sie da und starrte ungläubig zum Fenster hin. Der jähe Schreck war so überwältigend, daß sie sich nicht von der Stelle rühren konnte. Ihr Hirn war völlig leer.m Der Anblick war auch wirklich zu gespenstisch. An der massigen, vernickelten Klinke baumelte ein lebloses Bündel, das noch gestern Abend ein Mensch aus Fleisch und Blut gewesen war. Es war Oliver. Um seinen Hals lief ein grober Hanfstrick, wie ihn die Henker bei Hinrichtungen zu verwenden pflegen. Die Haut war zerschunden und blutunterlaufen. Der Körper hing schlaff in der tödlichen Schlinge. Am furchtbarsten aber war der Ausdruck des eingefallenen Gesichts. Die Augen hatten sich im Todeskampf weit geöffnet. Sie quollen weißlich aus den Höhlen und stierten stumpf zu ihr her. Auch der Mund war weit geöffnet, als wolle er Flüche, Verwünschungen und Anklagen herausschreien.  
    „Oliver!“ rief Evelyn Bloom schrill in die lähmende Stille.
    „Oliver!“
    Sie hatte plötzlich alles vergessen, was in der letzten Zeit trennend zwischen ihnen gestanden hatte. Alle Erniedrigungen, alle Streitigkeiten und sogar das Zerwürfnis vom letzten Abend. Sie wußte in diesen schrecklichen Sekunden nur, daß sie an allem schuld war. Sie ganz allein. Ihretwegen hatte er seinem Leben ein Ende gesetzt.
    Wie konnte er das tun, dachte sie in fassungslosem Entsetzen. Ich wäre doch gern bei ihm geblieben. Er hätte ja nur ein Wort zu sagen brauchen. Vielleicht wäre alles wieder gut geworden. Ich hätte schweigsam alles erduldet. Nur das nicht. Das hätte er nicht tun dürfen. Es läßt sich nie wieder rückgängig machen. Nun erst sind wir für immer voneinander getrennt. Sie wandte sich schluchzend ab und lief mit
    verstörtem Gesicht die Treppe hinunter. Atemlos stürmte sie in den Zigarrenladen im Erdgeschoß.
    „Kann ich bitte telefonieren?“ fragte sie den Mann, der gleichgültig Kisten und Schachteln in ein Regal ordnete.
    „Bitte, Mrs. Bloom. Sie finden sich bestimmt allein zurecht. Ich habe zu tun.“
    Evelyn lief hastig an den Apparat, nahm den Hörer ab und wählte den Notruf 999.
    „Hier Bereitschaftsdienst Scotland Yard“, klang es ihr aus der Leitung entgegen. „Wer spricht?“
    Evelyn sprudelte lallend ihren Namen hervor. Heiser und abgerissen kamen die Worte von ihren Lippen.
    „Sie müssen sofort hierher kommen“, stammelte sie und nannte die Adresse. „Mein Mann . . .er hat sich heute Nacht... er hat Selbstmord begangen. Er erhängte sich. Ich kann mir nicht erklären, warum er das tat. Ich entdeckte es erst vor ein paar Minuten. Hätte ich von seinen Absichten gewußt . . .“
    „Wir kommen, Madam“, sagte der Beamte am anderen Ende der Leitung. „Erwarten Sie uns in Ihrer Wohnung. In spätestens zwanzig Minuten sind wir da.“
    Evelyn Bloom legte kraftlos den Hörer auf. Sie war zum Umfallen müde. In dicken Perlen klebte der Schweiß auf ihrer Stirn.
    „Was sagten Sie da eben, Mrs. Bloom?“ fragte der biedere Zigarrenhändler und kam erschrocken näher. „Habe ich richtig gehört? Ihr Mann soll sich . . .?“
    Evelyn Bloom konnte nur nicken. Zum Sprechen fehlte ihr die Kraft. Sie taumelte aus dem Laden und schwankte wie betrunken die Treppe empor. Sie brachte kaum die Füße über die Stufen. Schaudernd blickte sie auf die offenstehende Tür. Sie
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