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Der Mann, der sein Leben vergaß

Der Mann, der sein Leben vergaß

Titel: Der Mann, der sein Leben vergaß
Autoren: Heinz G. Konsalik
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werde ich an Ort und Stelle einmal beschnüffeln! Wer hatte den eigentlich bearbeitet?«
    »Ich glaube, Chefkommissar Trambaeren und ein Ferdinand Brox – das Gegenstück zu Ihnen, Calbez. Was Sie an Frechheit haben, hat er an Intelligenz.«
    »Danke, Chef.« Calbez grinste. »Es kann nicht jeder den Geist eines Chefkommissars haben! – Wann soll ich fahren?«
    Selvano blickte nach rückwärts auf eine Tafel mit Zug- und See-Verbindungen.
    »Am besten ist, Sie steigen noch in den 23-Uhr-Zug nach Madrid ein. Dann können Sie morgen abend in Amsterdam sein.«
    Calbez stand auf und ergriff seine Aktentasche.
    »Und was wird mit Biancodero?«
    »Den hole ich am Hafen persönlich ab. Ist Ihr Aufenthalt in Amsterdam ergebnislos, ist auch Biancodero für mich ohne Interesse. Wir können dann zur Tagesordnung übergehen.«
    Calbez nickte und verließ das Zimmer. Draußen auf dem Flur pfiff er leise durch die Zähne und steckte sich dann eine Zigarette an.
    »Ich glaube, er verkennt den Jungen«, sagte er leise vor sich hin. »Man sollte ihn nie aus den Augen verlieren …«
    Ein Kollege vom Erpresserdezernat kam ihm entgegen und klopfte ihm auf die Schulter.
    »Na, alte Spürnase«, rief er. »Wieder auf Tour? Hast wieder Wind bekommen? Wo geht's denn hin?«
    Primo Calbez grinste über das ganze Gesicht.
    »Zur Schwiegermutter«, sagte er lustig. »Will mich beschweren! Meine Frau hat Zwillinge bekommen …«
    Die Reise Primo Calbez' nach Amsterdam war ein völliger Fehlschlag. Konsul Don Manolda war im Hotel gar nicht angemeldet, in Den Haag wußten der Diener und der Sekretär nur, daß der Konsul seit sechs Wochen auf unbekannten Reisen war, eine Haussuchung in der Villa war negativ, und was Trambaeren und Ferdinand Brox über die Affäre Pieter van Brouken erzählten, über diesen einwandfreien Selbstmord des kleinen Sparkassenbeamten, war so klar und im Vergleich zu der Person Biancoderos dermaßen absurd und verschieden, daß Primo Calbez genickt und leicht beschämt nach Lissabon zurückfuhr.
    Selvano entschloß sich endlich, die unbekannte Leiche wieder begraben zu lassen und machte damit einen Strich unter ein Aktenstück, das zu den geheimnisvollsten Fällen der Kriminalgeschichte überhaupt gehörte: drei bekannte und ein unbekannter Toter, Motive in Massen, Indizien von erdrückender Fülle, Kombinationen von völliger Klarheit – aber kein einziger Beweis, kein Licht in das Dunkel der Mutmaßungen, und vor allem in der Folge der Geschehnisse im Grunde genommen kein Sinn.
    Und dann die Gestalt dieses José Biancodero! Unantastbar, unwissend um alle Dinge, die um ihn herum geschahen, mißbraucht zu einem ekelhaften Schmuggel und selbst in der Gefahr, ein Ende zu nehmen wie alle, die in diesen Fall verwickelt waren. Er stand weit außerhalb jeglichen Verdachtes und war doch der Drehpunkt des ganzen Geschehens – wenn es überhaupt ein Geschehen gab!
    Das war es, was Selvano so aus der Fassung brachte! Ein Aktenbündel Material, nach dem jeder Staatsanwalt ein ›Schuldig‹ beantragen würde, und doch kein handgreiflicher Grund, Anklage gegen eine der verdächtigen Personen zu erheben.
    José Biancodero saß wieder auf seinem Felsennest bei Azenhas do Mar und starrte den Sonnenuntergang auf dem Meer an, wartete auf den Tag, an dem er von diesem Leben einmal erlöst würde – wie er einmal zu Selvano sagte – und begann wieder um ein Mädchen zu trauern, das in den Akten der Polizei eine dunkle und mehr als geheimnisvolle Rolle spielte. Ihr Tod war für Selvano das größte Fragezeichen des ganzen Falles, und seine Kombinationen, daß sie das Doppelleben ihres Onkels entdeckt hatte und deshalb vor Scham in den Tod gegangen war, trafen zwar den Kern der Sache, ließen sich aber – wie alles in diesem großen Rätsel – nicht im geringsten beweisen.
    So schloß Selvano einen Fall ab, der die größte Blamage seiner Laufbahn wurde und der ihn mit dem Gedanken spielen ließ, seinen Abschied zu nehmen. Aber der Polizeipräsident, den er mit dem Antrag um Ruhestellung besuchte, redete ihm seinen Entschluß aus, und so saß Selvano, vergrämt und verschlossen selbst vor Primo Calbez, in seinem Dezernat und zeigte eine Strenge, die ihn bald zu dem Schrecken der kleinen Kokainschmuggler werden ließ.
    Nur eine Befriedigung hatte er: Seit dem Tode Baron v. Pottlachs und dem Verschwinden des Konsuls Manolda war es ruhig im Rauschgiftdezernat. Selvano buchte diese Tatsache wieder zu den Pluspunkten, die er für die
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