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Der Mann, der sein Leben vergaß

Der Mann, der sein Leben vergaß

Titel: Der Mann, der sein Leben vergaß
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Balken die Überschrift und den grundlegenden Artikel dieses einmaligen Falles in Kriminalität und Psychologie:
    »Der Mann, der sein Leben vergaß!
    Unsere Leser erinnern sich vielleicht noch des Rätsels um den Sparkassenbeamten Pieter van Brouken, der vor sieben Jahren, am 29. Juni 1923, auf der Nieuwe Heerengracht auf einer Bank einschlief und dann nicht mehr gesehen wurde. Die Nachforschungen der Polizei ergaben, daß Pieter van Brouken Selbstmord verübt habe, indem er sich nach Einnahme eines starken Giftes in eine der Grachten stürzte.
    Gestern nun, nach sieben Jahren, genau am 29. Juni, erwacht auf derselben Bank auf der Nieuwe Heerengracht ein dort eingeschlafener eleganter Fremder südländischen Typus und gibt an, der verschwundene Pieter van Brouken zu sein. Er kann sich an die Zwischenzeit von sieben Jahren nicht erinnern, weiß nicht, wo er gewesen ist, unter welchem Namen er gelebt hat und ist zutiefst erstaunt, daß der Schlaf, in den er 1923 gefallen ist, sieben Jahre gedauert haben soll. Seine Frau und seine Nachbarn, die Direktion der Sparkasse und alle Bekannten bekunden, daß es sich wirklich um den vermißten Pieter van Brouken handelt, der sich irgendwo unter anderem Namen im Süden aufgehalten haben muß, worauf seine braune Hautfarbe und der typisch südländische Schnitt seines Anzuges hinweisen. Er selbst weiß von nichts, wurde von der Nachricht seines zweiten Lebens dermaßen erschüttert, daß er mit einem Nervenfieber in der Amsterdamer Klinik liegt. Er kann sich diesen Vorfall nicht erklären.
    Professor Ratkoff von der Psychologischen Forschungsstelle Den Haag hat uns auf Befragen mitgeteilt, daß es sich hier um einen ungeheuer seltenen Fall von komplettem Spaltungsirrsinn handelt, einer Bewußtseinsspaltung, die es ermöglicht, zwei Leben zu führen, an die jegliche Rückerinnerung fehlt.
    Die Sparkasse hat sich bereit erklärt, Pieter van Brouken, der immer als ein korrekter Beamter bekannt war, wieder einzustellen und ihm den Ausfall seines Verdienstes in Anbetracht des einmaligen Falles nachzuzahlen. Außerdem wird er auf Kosten des Staates und unter dem Protektorat der Königin für sechs Wochen in ein Bad zur Kur geschickt werden.
    Damit dürfte der sensationelle Fall Hollands eine überraschende Pointe erhalten haben und uns zeigen, daß es wirklich Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sich unsere Weisheit nicht träumen läßt.«
    Als Chefkommissar Selvano wenig später diesen Bericht in seiner Lissaboner Illustrierten las, wurde er zunächst ganz still und nachdenklich, dann schämte er sich und rief Primo Calbez an.
    »Calbez«, sagte er mit leiser Stimme. »Haben Sie den Bericht von Pieter van Brouken gelesen?«
    »Ja, Chef.« Weiter sagte Primo Calbez nichts. Doch dieses ›Ja, Chef‹, sagte Selvano mehr als alle anderen Worte.
    »Ich habe Ihnen vieles abzubitten, Calbez«, sagte er deshalb nach einer Weile. »Sie hatten recht mit Ihrem Verdacht. Sie hatten recht mit den vertauschten Vornamen, Sie hatten in allem recht! Calbez – Sie verdammte Spürnase –, ich werde Sie noch heute zum Kommissar vorschlagen. – Und vergessen Sie manches harte Wort, das ich mit Ihnen über diesen Fall sprach.« Dann hängte er schnell ein.
    Unterdessen lag Pieter van Brouken am Strand der Nordsee, spielte in dem weißen, heißen Sand der Dünen und tollte mit Fietje durch das Watt, wenn die See bei Ebbe den langen Streifen der mit Muscheln und Quallen übersäten Schlammfelder freigab.
    Abends saßen dann Pieter und Antje eng umschlungen im Strandkorb am rauschenden Meer und schauten hinaus in die Unendlichkeit der flimmernden Weite.
    »Es ist herrlich, wieder bei dir zu sein«, sagte Pieter leise und drückte Antjes blonden Lockenkopf fest an seine braune Brust. »Es ist so herrlich, dich zu fühlen. Und das alles soll ich sieben Jahre lang vergessen haben? Ich kann es nicht glauben, Antje …«
    »Du sollst nicht mehr daran denken«, sagte sie und streichelte ihn über die Augen, als wolle sie ihm die suchenden Gedanken wegwischen. »Du bist ja wieder da, und ich bin bei dir, immer, Pieter, und du wirst auch nicht wieder weggehen, weil ich dich fest, ganz fest halten werde …«
    Damit drückte sie ihn an sich, so, als könne er ihr wieder entlaufen, und küßte ihn auf seine zuckenden Lippen. »Du hast geträumt, Pieter, einen langen, bösen Traum, und es ist gut, daß du vergessen hast, was du träumtest … Sieh, wie das Meer leuchtet und flimmert, als wäre es aus lauter
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