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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
Autoren: Heinrich Steinfest
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schoss, über seinen Kriminalistenschädel wuchs, Stuttgart, in dessen Untergrund er stieg wie in ein Moorbad, das einen alten Mann weder gesünder noch schöner macht, aber doch irgendwie am Leben erhält.
    Ich drehte mich nicht um. Um ja nicht auf den Gedanken zu kommen, jemals in dieser Stadt gewesen zu sein.
    Zusammen mit Szirba und einem Dutzend versoffener Jungfern stieg ich in die Röhre des Teilchenbeschleunigers.

 
    Der Schreiberling
    (Eine Anmerkung des Autors)
    Ich lernte Szirba im Winter 1999 in Johannesburg kennen. Er stand an der Theke des Cafés Museum. Ein merkwürdiger Name für ein Lokal, das nichts von einem Kaffeehaus besaß und an jenes berühmte Wiener Café gleichen Namens nur durch eine gewisse Schäbigkeit der Einrichtung erinnerte. Der Besitzer, ein Mann namens Rayleigh, den sie den Schaumkönig nannten, wegen der brutalen Art, mit der er sein Bier zapfte, war nie in Wien gewesen. Er vermutete diese Stadt zwischen Budapest und Belgrad.
    Rayleigh behauptete, dass die Gestalten, die seine Gaststätte besuchten, ihn zu diesem Namen animiert hatten. »Modern Art«, sagte er lachend. Ich glaube nicht, dass er viel von moderner Kunst hielt. Er mochte seine Gäste so wenig wie sie ihn. Warum die Leute hierherkamen, blieb ein Rätsel. Das Bier war es sicher nicht. Ich kam wegen des Namens. Wie auch Szirba.
    Er war mir seines Akzents wegen aufgefallen, als er bei Rayleigh eine Bestellung aufgab. Sonst hätte es keinen Grund gegeben, ihn zu bemerken, wie er da stand, nicht unbedingt der Frischeste, und auf den Schaumkörper in seinem Glas starrte. Ich sprach ihn an, sagte, dass ich Wiener sei. Was sich natürlich blöd anhört. Das ist so, als erkläre man einer Person mit abstehenden Ohren, dass man unter der eigenen Mütze ebenfalls über abstehende Ohren verfüge. Wenigstens verzichtete ich diesmal darauf, mich als Schriftsteller vorzustellen. Es passiert mir leider des Öfteren, dass ich sage: Ich bin Wiener und schreibe Bücher. Kein Mensch redet so. Kein Mensch stellt sich vor, indem er sagt: Ich bin Amerikaner und streiche Wände, oder ich bin Marburger und verkaufe Motorräder. Nur Schriftsteller tun das.
    Szirba sagte bloß: »Lassen Sie mich in Frieden.«
    Nicht, dass ich den Mann angefasst hätte. Aber ich blieb neben ihm stehen und legte ihm dar, dass meine Neugierde beruflich bedingt sei, immerhin … ja, ich platzte nun doch damit heraus, dass ich Bücher schreibe. Irgendwann musste es eben gesagt sein. Warum nicht gleich zu Anfang.
    Szirbas Gegenwehr hielt sich in Grenzen. Er schwieg, trank, während ich ihm meine Lebensgeschichte aufdrängte, an deren Ende meine Urlaubsreise nach Südafrika stand, gerade so, als wäre sie der Kulminationspunkt von achtunddreißig anstrengenden Menschenjahren. Ich hoffte, dass er sich für meine Beichte revanchieren würde, indem er jetzt von sich zu erzählen begann. Doch er zeigte sich undankbar. Irgendwann trank er aus und ließ mich einfach stehen. Ich bin das gewohnt. Es kümmert mich nicht mehr. Ich nerve die Leute und sehe darin die Basis meiner Arbeit, meiner Erkundungsreise, wie ich das nenne. Ich folgte Szirba. Er ließ es sich gefallen, ja, nachdem ich lange genug neben ihm hergerannt war, beugte er sich seinem Schicksal und lud mich zu sich nach Hause ein. Ein hübsches Zuhause, so, wie man sich das weiße Südafrika vorstellt, großräumig, hell, mit einer golfplatzartigen Wiese und einer erdfarbenen Mauer drum herum. Nur ohne Personal, zumindest ohne offensichtliches. Wir setzten uns an die Hausbar, die wie ein verunfallter Sportwagen aussah, und ich setzte meinen Stachel an und bohrte.
    »Sie wollen also eine Geschichte hören«, sagte Szirba.
    »Genau!« Ich brüllte es geradezu heraus.
    Und dann präsentierte er seine Geschichte, dieses verrückte Ding, das zu glauben ich mich verpflichtet fühlte. Leider erzählte er bloß die Hälfte und brach an der Stelle ab, wo er darangegangen war, dem Killer zu folgen, dem Mann namens Ludwig Jooß, dessen Attentat er zu verhindern suchte. Szirba rutschte vom Stuhl, legte sich auf ein Sofa und war für jede weitere Bohrung unempfänglich.
    Eine dickliche, ältere Frau in einer weißen Rüschenschürze erschien, das Haar im Nacken zu einem breiten Knoten gebunden, in den Händen ein gewaltiges Fleischermesser. Sie war nicht gekommen, um mir zu sagen, was es zum Essen gab. Ich hätte es auch gar nicht wissen wollen. Sie war gekommen, um mich aus dem Haus zu werfen. Was sie damit erklärte, dass
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