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Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)

Titel: Der Löwe der Gerechtigkeit (German Edition)
Autoren: Leena Lehtolainen
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an den Aufstieg zur Festung. Auf der Terrasse eines Hauses mit blauer Tür döste eine schwarze Katze, ein Traktor brummte irgendwo auf einem Acker. Es war früher Nachmittag, und das Dorf wirkte wie ausgestorben.
    Die Festung Montemassi hatte nur noch zwei Türme. Die Ruinen der dazwischenliegenden Wohnquartiere waren von Pflanzen überwuchert: ein Baum, etwa so groß wie ich, der an eine Malve erinnerte, seltsame Kleeblüten, Klatschmohn und irgendein Lippenblütler, dessen dunkles Purpurrot Onkel Jari begeistert hätte. Mein Onkel hatte ein Faible für Blumen gehabt, obwohl er das vermutlich für unmännlich hielt. Ich hatte die Namen und die Klassifizierung der Pflanzen wie nebenbei gelernt. Jede Art von Wissen konnte nützlich, womöglich sogar lebensrettend sein. In der Grundschule hatten einige Jungen aus meiner Klasse mich dazu überreden wollen, Seidelbastbeeren zu essen, doch ich wusste damals bereits, dass die giftig waren. Ich hatte die Jungen nicht bei der Lehrerin verpetzt, aber eine Zeitlang hatte ich einige Beeren in einem zusammengebundenen Taschentuch mit mir herumgetragen und mir ausgemalt, wie ich sie den Bösewichten unter den Brei mischen würde.
    Von der Festung hatte man freien Blick in alle Himmelsrichtungen. Im Süden breitete sich eine Ebene aus, die bis ans Meer reichte. Unten im Dorf regte sich immer noch nichts, nur ein Mischlingshund lief mit einem Fleischbrocken über die Straße.
    Es kam mir seltsam vor, mit David Englisch zu sprechen, doch es war das Klügste. Früher war Schwedisch unsere gemeinsame Sprache gewesen, und erst als David vermisst wurde, hatte ich erfahren, dass er auch ein wenig Finnisch konnte. Das war eine der vielen Einzelheiten, die er mir trotz allem verheimlicht hatte. Spanisch hatte er mühelos gelernt, und nun schien er sich auch im Italienischen zurechtzufinden. Vielleicht waren vielseitige Sprachkenntnisse für David eine Art Lebensversicherung in einer Welt, die ihn immer wieder vor Überraschungen stellte.
    Wir taten, als würden wir gerade erst Bekanntschaft schließen. Ich berichtete so wahrheitsgemäß über mich, wie ich konnte: Ich wohnte in Helsinki bei einer älteren Dame zur Untermiete und arbeitete bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen Helsinki-Vantaa. Ich war ledig und hatte weder Kinder noch Haustiere. David wiederum zeichnete im Gespräch die Person, die er gerade verkörperte: den Sohn eines italienischen Vaters und einer schwedischen Mutter, der bisher hauptsächlich in Schweden gelebt, sich jetzt aber, nachdem ihm eine kleine Erbschaft zugefallen war, in die Toskana zurückgezogen hatte, um einen Roman zu schreiben, wovon er seit langem träumte. Dies erwähnte Daniel Lanotte ein wenig verlegen.
    «Das ist ein ziemliches Klischee, nicht wahr? Als wäre es hier leichter zu schreiben als in Sollentuna oder Småland. Aber landschaftlich ist es hier wirklich schön. Möchtest du die Aussicht aus meinem Arbeitszimmer einmal sehen? Ich könnte dir auch eine Tasse Kaffee anbieten oder einen Espresso.»
    Die klassische Anmache. Italiano schleppt blonde Touristin ab. Ich willigte ein. Davids Wohnung lag einige Meter unterhalb der Festung und bot tatsächlich eine beeindruckende Aussicht, die obendrein nützlich war, denn so hatte David den von Süden und Osten kommenden Verkehr im Blick.
    In der Wohnung sprach David Schwedisch mit mir.
    «Hier drinnen dürften wir sicher sein. Ich habe die Wohnung jeden Tag überprüft und keine Abhöranlagen gefunden. Jedenfalls ist Schwedisch ungefährlicher als Englisch, weil es von viel weniger Menschen verstanden wird. Hier im Dorf habe ich es noch niemanden sprechen gehört, und auch in Roccastrada nur ein einziges Mal. Da habe ich schnell die Straßenseite gewechselt. In Sant’Antimo bin ich einmal einer Touristengruppe aus Skåne begegnet, aber die Leute wirkten harmlos. Irgendwelche Rentner.»
    «Du müsstest doch wissen, dass es keine ungefährlichen Gruppen gibt. Die Rentner wären eine hervorragende Tarnung, hinter der sich ein Feind verbergen könnte. Aber wieso achtest du vor allem auf Leute, die Schwedisch sprechen? Hast du den Verdacht, dass deine Verfolger Schweden sind? Warum?»
    David kam näher. Bisher hatte er mich noch nicht berührt, und ich ihn auch nicht. In Kiel waren wir übereinander hergefallen, sobald ich die Kajüte seines Segelbootes betreten hatte. Es kam mir vor, als stünde jetzt eine durchsichtige, aber dennoch unüberwindliche Mauer zwischen uns.
    «Ich weiß nicht, wer mich
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