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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch
Autoren: Dieter Wellershoff
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lebte und ob sie überhaupt allein war. Kam also wohl nur die eigene Wohnung inFrage. Dort war ich der Gastgeber und hatte bessere Möglichkeiten, die Regie zu führen.
    Meine Wohnung war nicht groß: zwei geräumige Zimmer, plus Wohnküche und Bad. Ein Zimmer mehr wäre mir lieber gewesen. Aber
     ich hatte das Apartment gemietet, weil es zufällig frei wurde, als Marlene sich von mir trennte und das große Haus, in dem
     wir gewohnt hatten, verkaufte, um sich als Internistin niederzulassen, mit all den diagnostischen Geräten, die heute dazugehören.
     Das Haus war ihr Familienerbe gewesen, und ich hatte, als ich mit Marlene verheiratet war, nie ganz das Gefühl verloren, daß
     ich darin nur ihr Gast war. Nach unserer Trennung war ich zunächst ganz zufrieden mit der vergleichsweise kleinen Wohnung,
     denn sie erschien mir nach zwei gescheiterten Ehen als eine Versicherung gegen die Gefahr, es noch einmal zu versuchen.
    Für einen Abend zu zweit war sie gut geeignet. Man rückte in ihr von selbst näher zusammen und fühlte sich nicht so verloren,
     wenn man wieder allein war. Eine meiner Besucherinnen, die mich gefragt hatte, wie ich denn hier so allein lebe, hatte ich
     geantwortet: My private life is comfort and despair. Sie fand, daß das ein bemerkenswerter Spruch sei, der gut zu mir und
     der Wohnung passe, was mich dann doch einigermaßen verblüffte.
    Ich hatte mir noch eine weitere Tasse Kaffee bestellt und schaute immer häufiger durch das Fenster und die Glastür des Vorraumes
     mit der Kuchentheke auf den Platz mit dem alten Stadttor hinaus, wo ständig Menschen vorbeigingen, die aus der U-Bahn oder
     aus einer hier mündenden Einkaufsstraße kamen. Sie mußte von rechts kommen, vom Ring her, an dem die vielen Kinos lagen. Inzwischen
     saß ich hier wie auf dem Anstand und blickte dauernd zu diesemmenschlichen Wildwechsel hinüber, wo ich sie jetzt bald zu sehen hoffte, mit einem, wie ich mir vorstellte, von Erwartung
     beschwingten, eiligen Schritt.
    Es war jetzt eine Viertelstunde über den Zeitpunkt ihrer Ablösung hinaus. So viel Zeit brauchte sie nicht für den kurzen Weg.
     Also hatte irgend etwas nicht geklappt. Vielleicht war die Kollegin später gekommen, weil sie aufgehalten worden war. Oder
     die Abrechnung stimmte nicht und mußte noch einmal überprüft werden. Wie auch immer es sich verhielt – mir blieb jetzt nichts
     anderes übrig, als zu warten. Es kam nicht auf eine Viertelstunde und auch nicht auf eine halbe Stunde an, wenn sie am Ende
     wirklich kam. Ich würde dann belohnt werden, weil ich gewartet hatte. Bis dahin konnte ich meine Zeitung lesen und mich von
     den laufenden Weltereignissen unterhalten lassen. Nur daß mich allmählich die Vorstellung beschlich, sie werde mich versetzen.
     Ich wollte es nicht wahrhaben, aber es war keineswegs mehr unwahrscheinlich. Vielleicht hatte sie Angst bekommen, oder sie
     hatte von vornherein nicht vorgehabt, auf meine Einladung einzugehen, und dies war ihre Art, aufdringliche Männer abzuwehren.
     Möglicherweise traf sie sich jetzt mit einem anderen Mann, dem sie erzählte, wie sie mich zum Narren gehalten hatte. »Der
     sitzt bestimmt immer noch da und wartet«, würde sie sagen, und der andere Mann, den sie mir vorgezogen hatte, würde finden,
     daß sie eine tolle Frau war.
    Nun hör auf, sagte ich zu mir. Es kann so oder so sein, aber es ist auf jeden Fall banal. Ich blickte auf die Uhr. Noch zehn
     Minuten wollte ich ihr geben. Zehn Minuten und keine Minute mehr. Doch während ich wieder in die Zeitung blickte, mußte ich
     mir eingestehen, daß ich alles Interesse an dem Abend zu zweit verloren hatte. Nein, ich würde es nicht mehr aushalten, weder die üblichen Präliminarien noch
     den weiteren Verlauf. Und die Stimme, die mir manchmal lautlos souffliert, gab mir den Satz ein: »Ich will auf keinen Fall
     mehr hier sein, wenn sie gleich angestampft kommt.« Das veränderte das Bild, das ich mir von ihrem Erscheinen gemacht hatte,
     so drastisch, daß ich davor zurückwich. Bloß nicht, dachte ich und winkte die Bedienung herbei, um zu zahlen.
     
    Mein Gefühl, aus einer Sackgasse entkommen zu sein, verstärkte sich, als ich an der Ausfahrt der Tiefgarage meinen Parkschein
     in den Schlitz schob und der hochschnellende Schwenkarm mir die Rampe freigab. Beinahe hätte ich die aufgerichtete Sperre
     wie einen salutierenden Wachtposten zurückgegrüßt, als ich sie passierte.
    Draußen fiel die Dämmerung ein, und die schwindende
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