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Der Liebeswunsch

Der Liebeswunsch

Titel: Der Liebeswunsch
Autoren: Dieter Wellershoff
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einem hellen Sommeranzug erschien.
     Er trug eine grüne Tragetasche und winkte von ferne mit der Vertraulichkeit eines alten Freundes. »Hab mir schon gedacht,
     daß ihr im Garten seid«, sagte er im Näherkommen. Er hieß Dr. Veith, wurde von seinen Freunden Leonhard genannt und sprach
     die beiden mit Paul und Marlene an. Als er ihr die Hand gab, knickte er mit dem Oberkörper zu einer knappen Verbeugung ein.
     Die Bewegung stand im Widerspruch zu seinem unbestimmt fülligen Körper und wirkte auf sie, als grenze er sich gegen sie ab.
     Sein Gesicht unter der beginnenden Stirnglatze und den dunkelblonden, straff zurückgebürsteten Haaren war leicht gerötet,
     und die Brillengläser vergrößerten seine blauen Augen. Starrte er sie an? Störte sie ihn?
    Sie wollte die Gelegenheit nutzen und sich verabschieden, kam aber nicht zu Wort, weil Dr. Veith seine Freunde sofort für
     sich beanspruchte und aus der Tragetasche zwei Bücher hervorholte, die er ihnen für ihre Ostasienreise besorgt hatte. Er erläuterte,
     was er darin für interessant und wichtig hielt. Er sprach mit Nachdruck, als nehme er großen Anteil an dieser Reise und fühle
     sich verantwortlich für ihr Gelingen, schloß sie damit unwillkürlich aus der Unterhaltung aus. Die Frau neben ihr empfand
     das wohl, denn sie wandte sich ihr zu und sagte freundlich: »Kommen Sie, ich gebe Ihnen schon mal die Schlüssel.«
    Als sie zurückkamen und sie sich verabschieden wollte, schritten ihnen die beiden Männer langsam über die Rasenfläche entgegen,
     offenbar noch im Gespräch über ostasiatische Tempel und andere Sehenswürdigkeiten. Wieder richtete sich der Blick der durch
     die Brillengläser vergrößertenblauen Augen auf sie. Es kam ihr so vor, als erinnere sich der Mann erst jetzt wieder an ihre Anwesenheit.
    »Ich fahre zurück in die Stadt«, sagte er. »Ich kann Sie gerne mitnehmen.«
    Sie wäre lieber zur Haltestellte der Bahn gegangen und alleine zurückgefahren, wagte aber nicht, das Angebot auszuschlagen.
     Ihre Gedanken waren mit dem Haus beschäftigt, in dem sie vier Wochen lang wohnen würde, und die Gegenwart dieses Mannes störte
     sie. Er stellte ihr lauter Fragen zu ihrer Person und ihrem Studium, die sie geduldig beantwortete. Sie konnte nicht erkennen,
     ob er auf diese Weise seine Verlegenheit oder sein Desinteresse überspielte. Schließlich brach er das Fragespiel ab und erklärte
     unvermittelt, als müsse er zum Ausgleich nun auch etwas von sich preisgeben, er sei Vorsitzender Richter am Landgericht. Sie
     bildete sich ein, daß dadurch seine Person ein wenig deutlicher wurde, und sagte, daß sie das interessant fände. Er schlug
     ihr vor, sich einmal einen Prozeß anzusehen, und erzählte von dem Angeklagten seines nächsten Prozesses, der versucht hatte,
     ein großes Mietshaus durch eine Gasexplosion in die Luft zu sprengen.
    »Warum?« fragte sie.
    Er zuckte die Achseln. »Es gibt verschiedene Motive. Vielleicht wollte er seine Frau und die Kinder loswerden.«
    Sie sah ihn von der Seite an. Er schien mehr vom Leben zu wissen, als sie gedacht hatte. Als sie bei ihrer Wohnung hielten,
     stieg er zusammen mit ihr aus, griff ihre Hand und sagte: »Ich rufe Sie mal an in Ihrer Einsamkeit.« »Ja, tun Sie das«, sagte
     sie.
    Während sie auf die Haustür zuging, glaubte sie zu spüren, daß er ihr nachschaute, und als sie beim Aufschließenüber die Schulter zurückblickte, stand er noch da und winkte. Das war eigentlich zu viel Vertraulichkeit. Sie nickte nur kurz,
     bevor sie im Haus verschwand.
     
    Vier Tage später packte sie ihre Koffer und fuhr abends in einem Taxi, das die Gastgeber ihr geschickt hatten, zu dem Haus
     hinaus, in dessen weiten fremden Räumen sie einen Monat lang leben mußte. Die Frau hatte sie gebeten, sicherheitshalber schon
     am Abend vor ihrer Abreise einzuziehen. Dann konnte man auch noch die eine oder andere Frage klären, die sich vielleicht ergeben
     würde. Sie fühlte sich beklommen und aufgeregt, als sie ihre kleine Wohnung verließ. Daß es Angst war, gestand sie sich erst
     ein, als das Ehepaar am nächsten Tag gegen Mittag mit einem Taxi zum Flughafen gefahren war.
    Einen Augenblick war sie noch in der Einfahrt stehengeblieben, hatte sich dann losgerissen von dem plötzlich leergeräumten
     Bild und war in das Haus zurückgegangen, das sie mit seiner Stille und Weiträumigkeit empfing. Sobald sie die Türschwelle
     überschritt, war sie eingetaucht in eine Atmosphäre, die von allen
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