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Der Liebessalat

Der Liebessalat

Titel: Der Liebessalat
Autoren: Joseph von Westphalen
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Lehrer gehalten werden.«
    »Da ist sich der Herr zu fein«, sagte sie und gefiel Viktor noch besser. Mit ihr könnte er es ein Leben lang aushalten. Der Spott machte sie schön. Sie war völlig ungeschminkt. Diese Nase. Pfeilgerade. Dieser Nasenring. Viktor würde ein Gedicht auf diesen Ring schreiben. Er notierte die Worte »Gruß aus der Steppe«. Er hatte eine Schwäche für ungeschminkte Frauen. Manche Frauen waren so schön, daß sie häßlich wurden, wenn sie sich schminkten. So schön war diese seine junge neue schweizerische Ehefrau nicht. Sie gehörte zu den Frauen, deren Schönheit geschminkt erst richtig sichtbar werden würde. Er sah das Häuschen vor sich, in dem er mit ihr lebte, und genoß den kurzen Traum. Mit ihr würde er sogar in das verhaßte Theater gehen. Dann würde sie sich schminken. Das würde er mögen. Im Theater würde er sich auf die Nacht mit ihr freuen.
    »Und«, fragte sie, »was macht der feine Herr, der kein Lehrer ist?«
    Viktor wollte ihr keinesfalls imponieren. Er wollte ihr treuer, biederer Mann bleiben. Er wollte sie lieben, wie Monsieur Bovary seine Emma liebte. Sie sollte sein ein und alles sein. Er sehnte sich danach, zu verzweifeln, wenn diese Frau sich irgendwann für einen anderen schminkte. Sie würde ihren treuen Viktor betrügen. Er würde den Schmerz kosten, ihr nicht zu genügen. Er wollte Dorfschullehrer sein, und der andere sollte ein Musiker sein. Ein berühmter Musiker.
    Warum hatte Viktor solche Träume? Weil er sein Liebesleben so eingerichtet hatte, daß keine Dramen ihn heimsuchten. Deswegen träumte er gern dramatisch. Unglückliche träumen vom Glück. Viktor war glücklich genug, um vom Unglück zu träumen. Entschlossen strich er einen Absatz durch, den er heute abend nicht vorlesen wollte. Er schuldete ihr noch immer eine Antwort.
    »Sind Sie Staatsanwalt oder was?« Sie fragte es fast gereizt, mit schöner Schärfe. »Paßt ihnen dieses Buch nicht? Ermitteln Sie gegen den Autor?«
    Jetzt würde er ihr die Wahrheit sagen müssen. Aus mit dem Traum vom armen Schullehrer. Viktor schaute sie noch ein letztes Mal als ihr liebender Dorfschullehrergatte an. Dieser Nasenring, an dem er sie als ihr Monsieur Bovary nicht würde halten können. Nach drei Jahren würde sie die Schweizer Spießerehe satt haben und in die große Welt hinaus wollen. »Ich bin Schriftsteller«, sagte Viktor ernüchtert, »ich bereite mich auf eine Lesung vor. Dafür streiche ich meinen Text zusammen. Außerdem habe ich gerade ein Gedicht auf Sie und ihren scharfen Nasenring geschrieben.«
    »Sehen lassen!« Die junge Frau streckte die Hand aus. Dafür, daß sie der Schriftsteller nicht beeindruckte, könnte er sie umarmen. Er würde sie überhaupt gern umarmen. Von dem Gedicht existierten nur vier Worte, an den Rand seines Buches gekritzelt.
    »Es ist noch nicht fertig«, sagte Viktor.
    »Ich heiße Bettina«, sagte die Schweizerin, »wann ist es fertig?« Sie hatte ihren Namen mit Stolz gesagt. »Das Gedicht kann noch drei Stunden dauern«, sagte er so dahin.
    Bettina sah auf die Uhr: »So lange bin ich noch locker im Zug.«
    Viktor: »Aber ich habe keine Lust, hier zu sitzen und drei Stunden lang ein Gedicht auf Sie zu schreiben. Verplemperte Zeit. Ich unterhalte mich lieber mit Ihnen und schreibe es fertig, wenn Sie weg sind. Dann schicke ich es Ihnen. Adresse bitte.«
    Bettina: »Nur, wenn Sie mir den Anfang verraten.«
    Viktor: »Im Speisewagen.«
    Bettina nickte: »Einverstanden.«
    Viktor ahnte: Das würde nicht seine beste Lesung werden heute abend. Er hatte keine Lust, sich weiter vorzubereiten. Er würde sich in Hannover im eigenen Text verheddern und würde improvisieren müssen. Manche Leute im Publikum würden das sympathisch, andere, die Lehrertypen, würden es unverschämt finden. Bettina fuhr bis Hamburg. Sie würden zusammen im Zug sitzen, unzertrennlich, bis er in Hannover ausstieg – um eine Bekanntschaft reicher. Eine neue Bekanntschaft war wichtiger als eine perfekte Lese-Show. Bettina dürfte Anfang zwanzig sein. Es war wichtig, den Kontakt zur jüngeren Generation zu pflegen. Ein Autor, der den Kontakt zur jüngeren Generation verloren hat, ist weg vom Fenster. Bettina war ein Geschenk des Himmels. Eine Fügung. Das Gedicht, das er auf ihren Nasenring schreiben wollte, würde nicht gut werden, denn Viktor war bereits frisch verliebt, und frisch Verliebte schrieben keine guten Gedichte. Allerdings schrieb Viktor auch unverliebt keine guten Gedichte. Das wußte
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