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Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Roman (German Edition)
Autoren: Jeanette Winterson
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musste man eben Werbung machen.
    Miss Pinch schrieb die Angaben zu meiner Person auf ein großes Blatt Papier und befestigte es am schwarzen Brett der Gemeinde. Ich sei in gute Hände abzugeben, deren Referenzen vom Gemeinderat sorgfältig überprüft würden.
    Ich trat näher, um mir den Aushang durchzulesen. Es regnete und außer mir war niemand da. Auf dem Aushang stand nichts über meinen Hund, also verfasste ich selbst ein paar Zeilen und brachte sie darunter an:
     
    EIN HUND. BRAUNWEISS GEFLECKTER
DRAHTHAARTERRIER. VORDERBEINE 20 CM LANG.
HINTERBEINE 15 CM LANG. UNZERTRENNLICH.
    Dann hatte ich Sorge, dass jemand auf die irrige Idee kommen könnte, es seien die Beine des Hundes, die unzertrennlich waren, und nicht der Hund und ich.
    »Du kannst den Leuten diesen Hund nicht aufdrängen«, sagte Miss Pinch, die plötzlich hinter mir stand, den langen Körper gefaltet wie ein Regenschirm.
    »Der Hund gehört mir.«
    »Ja, aber wem gehörst du? Das wissen wir nicht, und nicht jeder ist ein Hundefreund.«
    Miss Pinch war ein direkter Nachfahre Hochwürden Darks. Es gab zwei Darks – der eine, der hier gelebt hatte, war Hochwürden Dark, und der andere, der lieber gestorben wäre, als hier zu leben, war sein Vater. Jetzt lernst Du erst mal den ersten kennen, der zweite kommt dann gleich.
    Hochwürden Dark war die berühmteste Person, die Salts jemals hervorbrachte. Im Jahr 1859, hundert Jahre vor meiner Geburt, veröffentlichte Charles Darwin seine
Entstehung der Arten
und kam nach Salts, um Dark einen Besuch abzustatten. Das war eine lange Geschichte, und wie die meisten Geschichten dieser Welt nahm sie kein Ende. Die Geschichte hatte zwar ein Ende – jede Geschichte hat ein Ende –, aber sie ging danach weiter – das tut jede Geschichte.
     
    Die Geschichte beginnt wohl im Jahr 1814, als die Northern Lighthouse-Behörde durch ein Gesetz ermächtigt wurde, »zusätzliche Leuchttürme in den Küstengebieten von Schottland an jenen Stellen, wo sie für notwendig empfunden werden, zu errichten und instand zu halten«.
    An der Nordwestspitze des schottischen Festlands liegt ein wilder, unbewohnter Flecken, auf Gälisch
Am Parbh
genannt – der Wendepunkt. Wem er sich zuwendet oder wovon er sich abwendet, ist unklar, oder aber es sind viele Dinge, einschließlich des Schicksals eines Mannes.
    Der Pentland-Firth trifft auf die Minch, im Westen erkennt man die Isle of Lewis, im Osten die Orkneys, aber nach Norden hin liegt nur der Atlantische Ozean. Ich sage
nur
, aber was bedeutet das? Es kann vieles bedeuten, einschließlich des Schicksals eines Mannes.
    Die Geschichte beginnt jetzt – vielleicht beginnt sie aber auch im Jahr 1802, als ein schreckliches Schiffsunglück die Männer wie Federbälle ins Meer warf. Eine Zeit lang trieben sie wie Kork, die Köpfe knapp über der Wasseroberfläche, aber bald danach sanken sie wie voll gesogener Kork, und ihre reiche Schiffsladung war ebenso unnütz wie ihr Beten.
    Am nächsten Tag ging die Sonne auf und beschien das Schiffswrack.
     
    England war eine Seefahrernation, und mächtige Handelsinteressen in London, Liverpool und Bristol forderten den Bau eines örtlichen Leuchtturms. Kosten und Aufwand jedoch waren immens. Um dem Wendepunkt Schutz zu bieten, musste am Cape Wrath ein Feuer leuchten.
    Cape Wrath
. Die Position auf der nautischen Karte: 58° 37,5° N, 5° W.
    Sieh’s dir an – die Landzunge liegt 110 Meter über dem Meer, wild, gewaltig, unmöglich. Möwen und Träume sind hier zu Hause.
     
    Es lebte einmal ein Mann namens Josiah Dark – hier ist er also –, ein reicher und berühmter Kaufmann aus Bristol. Dark war ein kleiner, energischer, aufbrausender Mann, der in seinem ganzen Leben noch nie in Salts gewesen war und sich am Tag seines Besuchs schwor, niemals wiederzukommen. Die Kaffeehäuser und Konversation im leichtlebigen, wohlhabenden Bristol waren ihm lieber. Doch aus Salts sollte der Leuchtturmwärter und dessen Familie mit Lebensmitteln und Brennstoffversorgt werden, und aus Salts würden die Arbeiter kommen, um den Turm zu bauen.
    Und so quartierte sich Dark unter großem Gejammer und mit noch größerem Unwillen eine Woche lang im einzigen Gasthaus, The Razorbill, ein.
    Ein komfortables Gasthaus war es nicht. Der Wind kreischte vor den Fenstern, eine Hängematte kostete halb so viel wie ein Bett und ein Bett kostete doppelt so viel wie eine durchgeschlafene Nacht. Zu essen gab es Hammelfleisch, das nach Zaunpfahl schmeckte, oder Henne, zäh wie
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