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Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)

Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Leuchtturmwärter: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Camilla Läckberg
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Sie folgerte daraus, dass ihm auch niemand weh tun wollte.
    Beim Gedanken an all die Tiere, die er im Laufe der Jahre angeschleppt hatte, musste sie lächeln. Verletzt, verlassen oder einfach nur vom Leben gezeichnet. Drei Katzen, zwei überfahrene Igel und ein Spatz mit gebrochenem Flügel. Ganz zu schweigen von der Schlange, die sie zufällig in seiner Kommode entdeckte, als sie die frische Wäsche einräumte. Nach diesem Vorfall musste er auf Ehre und Gewissen schwören, Reptilien, egal, wie schwer ihre Verletzungen waren, fortan ihrem Schicksal zu überlassen. Widerwillig hatte er sich gefügt.
    Sie wunderte sich, dass er nicht Tiermediziner oder Arzt werden wollte. Aber das Studium an der Handelshochschule schien ihm Spaß zu machen, und soweit sie das zu beurteilen vermochte, konnte er gut mit Zahlen umgehen. Die Arbeit bei der Gemeinde schien ihm ebenfalls zu gefallen. Trotzdem war da etwas, das sie nachdenklich machte. Sie konnte es nicht genau benennen, doch sie hatte wieder diese Alpträume. Jede Nacht erwachte sie schweißnass und hatte einzelne Bilder im Kopf. Es war nicht alles so, wie es sein sollte, aber auf ihre vorsichtigen Fragen reagierte er mit Schweigen. Daher hatte sie sich darauf konzentriert, ihn zum Essen zu bewegen. Wenn er erst ein paar Kilo zugenommen hatte, würde alles wieder gut werden.
    »Willst du nicht noch ein bisschen mehr essen?«, flehte sie, als Matte die Gabel auf den noch halbvollen Teller sinken ließ.
    »Jetzt hör aber auf, Signe«, sagte Gunnar. »Lass ihn in Ruhe.«
    »Halb so wild«, lächelte Matte bleich.
    Mutters Junge. Er wollte nicht, dass sie seinetwegen beschimpft wurde, auch wenn sie nach mehr als vierzig Jahren Ehe wusste, dass ihr Mann es nicht so meinte. Einen derart gutmütigen Kerl wie ihn gab es nicht noch einmal. Wie schon oft zuvor bekam sie ein schlechtes Gewissen. Sie wusste, dass der Fehler bei ihr lag. Sie machte sich zu viele Sorgen.
    »Entschuldige, Matte. Natürlich brauchst du nicht noch mehr zu essen.«
    Sie verwendete den Spitznamen, den er trug, seit er sprechen, aber seinen eigenen Namen noch nicht richtig aussprechen konnte. Zuerst hatte er sich selbst Matte genannt, und dann hatten es alle anderen auch getan.
    »Weißt du, wer auf Besuch zu Hause ist?«, fuhr sie fröhlich fort und begann, die Teller abzuräumen.
    »Keine Ahnung.«
    »Annie.«
    Matte zuckte zusammen und sah sie an.
    »Annie? Meine Annie?«
    Gunnar lachte leise. »Ich habe mir gedacht, dass du bei diesem Thema munter wirst. Du hattest immer eine kleine Schwäche für sie.«
    »Ach, hör doch auf.«
    Signe sah plötzlich den Teenager vor sich, dem die Ponyfransen über die Augen hingen und der ihr mit zittriger Stimme mitteilte, er habe nun eine Freundin.
    »Ich habe ihr heute ein paar Lebensmittel rausgebracht«, sagte Gunnar. »Sie ist auf der Geisterinsel.«
    »Mensch, du sollst Gråskär nicht so nennen.« Signe schüttelte sich. »Sie heißt Gråskär.«
    »Wann ist Annie gekommen?«, fragte Matte.
    »Gestern, glaube ich. Sie hat den Jungen dabei.«
    »Wie lange will sie bleiben?«
    »Das weiß sie noch nicht.« Gunnar steckte sich eine Portion Snus unter die Oberlippe und lehnte sich zufrieden zurück.
    »Ist sie … noch so wie früher?«
    Gunnar nickte. »Natürlich ist die kleine Annie noch so wie früher. Bildhübsch wie immer. Um die Augen herum wirkte sie ein bisschen traurig, aber das habe ich mir vielleicht nur eingebildet. Möglicherweise haben die sich gekabbelt. Was weiß ich?«
    »Über solche Dinge soll man nicht spekulieren«, schalt ihn Signe. »Hast du den Jungen gesehen?«
    »Nein, Annie kam zum Steg runter, und ich hatte nicht viel Zeit. Aber fahr doch einfach hin und sag guten Tag.« Gunnar drehte sich zu Matte um. »Sie freut sich bestimmt über Besuch da draußen auf der Geisterinsel. Entschuldige, auf Gråskär«, fügte er zwinkernd hinzu.
    »Das ist doch nur Unsinn und alter Aberglaube. Ich finde nicht, dass man so etwas noch anfeuern sollte«, sagte Signe mit einer tiefen Furche zwischen den Augenbrauen.
    »Annie glaubt daran«, sagte Matte leise. »Sie hat immer gesagt, sie weiß, dass sie da sind.«
    »Wer denn?« Eigentlich wollte Signe das Thema wechseln, aber nun war sie gespannt auf Mattes Antwort.
    »Die Toten. Annie hat gesagt, sie würde sie manchmal sehen und hören, aber sie hätten nichts Böses im Sinn. Sie seien einfach dort geblieben.«
    »Pfui Teufel. Jetzt essen wir besser unseren Nachtisch. Ich habe Rhabarberkompott gemacht.«
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