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Der Leuchtturm von Alexandria

Der Leuchtturm von Alexandria

Titel: Der Leuchtturm von Alexandria
Autoren: Gillian Bradshaw
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sagen sollte, sei es nun wahr oder nicht, würden sie meinen Vater foltern und ihn hinrichten, falls er etwas gestand – und er würde unter der Folter alles gestehen. Zuletzt würden sie sein Vermögen einziehen. Ich spürte, wie ich zu zittern begann. Ich zog das eine Ende meines Umhangs über das Gesicht und kaute an ihm. Thorion kam zu mir und legte mir seinen Arm um die Schultern. Er flüsterte mir etwas ins Ohr, als tröste er mich. Doch in Wirklichkeit fragte er mich: »Was hast du mit dem Vogel gemacht?«
    Diese Frage ließ die Panik in mir verebben. Wenn die Männer den verstümmelten Körper eines kleinen Vogels in Thorions Zimmer fanden, würde mein Bruder unweigerlich der Schwarzen Magie angeklagt, und Schwarze Magie und Verrat paßten wie Salz und Weinessig zusammen. Ich berührte mit der Hand die lederne Kosmetiktasche an meinem Gürtel, und Thorion gab einen schwachen Seufzer der Erleichterung von sich. »Das ist alles Quatsch«, sagte er jetzt ein bißchen lauter, ohne sich darum zu kümmern, ob Festinus es hörte. »Sie werden nichts finden und wieder weggehen. Man kann einen Mann nicht des Verrates für schuldig befinden, nur weil er vor zwei Jahren mit einem der Verräter auf gesellschaftlicher Ebene verkehrt hat.«
    Festinus hörte es. Er sah uns an und lächelte erneut. »So, so, aber da gibt es noch mehr«, meinte er. Er schien die Situation zu genießen. Er nahm noch einen Schluck Wein. In meinen Vater schien wieder etwas Leben zu kommen, und er sah den Statthalter an. »Ich habe dir schon gesagt, daß der Grund für diese ganze Geschichte dein Name Theodoros ist«, fuhr Festinus fort und wandte sich wieder Vater zu. »Die Verschwörung, die der Himmel in seiner Gnade aufgedeckt hat, zielte darauf ab, einen Theodoros zum Kaiser zu machen.«
    »Davon weiß ich nichts«, sagte Vater.
    »Die Verschwörer haben dabei auch nicht an dich gedacht«, gab Festinus zu. »Sie wollten den Purpur Theodoros dem Notar geben. Aber es könnte ja immerhin auch ein anderer Theodoros gemeint gewesen sein. Das Orakel war nicht eindeutig.«
    Alle starrten ihn an, und er nahm erneut einen Schluck Wein. Er genoß die Situation wirklich. Ich hatte damals keine Ahnung, wer Theodoros der Notar war: Später erfuhr ich, daß er ein reicher und sehr viel vornehmerer Edelmann war als mein Vater. Doch was die allgemeine Aufmerksamkeit so erregte, das war die Erwähnung eines Orakels. All die von früher her berühmten Orakel waren stumm. Entweder weil sie, wie die Kirche behauptete, durch das Erscheinen von Christus ihrer Macht beraubt waren, oder, wie die Heiden meinten, weil die Christen sich eingemischt hatten: die Ohnmacht der Priesterschaft sei Schuld an ihrer Unzuverlässigkeit.
    »Vor ein paar Monaten«, erzählte Festinus in einem beiläufigen Tonfall, »wurden zwei Giftmischer und Magier, Palladios und Heliodoros, wegen einer unerheblichen Sache vor Gericht gestellt. Um der Folter zu entgehen, versprachen sie, das Gericht über eine weit ernstere Angelegenheit zu informieren, von der sie – von Berufs wegen – Kenntnis erhalten hatten. Es hat den Anschein, als hätten Fidustius, Pergamios und Irenaios, alles Männer vom kaiserlichen Hof und edle Leute von großer Vornehmheit« – er bedachte meinen Vater mit einem ironischen Blick –, »durch geheime und verabscheuenswürdige Künste den Namen des Mannes in Erfahrung gebracht, der unserem erlauchten und geliebten Gebieter Valens nachfolgen wird.«
    Und wieder beobachtete Festinus uns alle mit seinen kühlen blauen Augen. Ich hörte auf, an meinem Umhang herumzukauen, und starrte ihn meinerseits an, wobei ich dem Himmel und meinem Glück dankte, daß ich den Kadaver des Vogels immer noch bei mir trug. Es war unwahrscheinlich, daß sie mich selbst durchsuchen würden: Er müßte eigentlich sicher sein bei mir. Aber falls jetzt auch nur das geringste Anzeichen von Magie zu Tage träte, würden wir allesamt stranguliert werden.
    »Fidustius befand sich zufällig gerade am Hof in Antiochia, als diese Sache passierte«, fuhr Festinus fort. »Er wurde gefoltert und enthüllte alles, was er wußte. Mit Hilfe jener beiden Magier von edler Abstammung« – wieder dieses ironische Lächeln, diesmal galt es Thorion und mir – »hatten die Verschwörer ein Orakel errichtet, das den alten Orakeln ähnelte. Sie konstruierten einen goldenen Dreifuß nach dem Vorbild des Dreifußes von Delphi und stellten ihn auf eine runde Platte, die aus verschiedenen Metallen bestand und an
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