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Der Leuchtturm am Ende der Welt

Der Leuchtturm am Ende der Welt

Titel: Der Leuchtturm am Ende der Welt
Autoren: Jules Verne
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hin, dessen Melodie bei der Stille der Nacht doch deutlich vernehmbar war.
    Vasquez beschrieb einen Bogen und wurde, während er sich dem Stern des Schiffes näherte, desto unsichtbarer, je mehr er in den tiefdunkeln Schatten des Rumpfes kam. Jetzt lag das Steuerruder über ihm. Er packte dessen schlüpfrige Fläche fest mit beiden Händen und es gelang ihm, indem er sich an den Eisenbeschlag klammerte, sich mit übermenschlicher Kraft daran emporzuziehen. Als es ihm gelungen war, rittlings auf die Hacke (den obersten Teil) des Ruders zu gelangen, schloß er die Knie fest daran, wie der Reiter auf seinem Pferde. Da er hiermit die Hände frei bekam, erfaßte er nun den auf seinem Kopfe befestigten Sack, hielt ihn zwischen den Zähnen und holte daraus den Inhalt hervor. Mit dem Messer begann er sofort seine Arbeit. Allmählich wurde das Loch, das er zwischen Ruderhacke und Hintersteven ausgrub, größer und tiefer. Nach einstündiger Bemühung drang das Messer zur Innenseite der Beplankung hindurch. Als die Öffnung groß genug geworden war, steckte Vasquez die Kartusche hinein, befestigte die Lunte daran und suchte im Sacke nach seinem Feuerzeuge.
    In diesem Augenblicke verloren seine ermüdeten Knie auf eine Viertelsekunde ihren Halt. Er fühlte, daß er abglitt, und abgleiten, das war gleichbedeutend mit einem Fehlschlag seines Unternehmens. Wurde sein Feuerzeug einmal durchnäßt, so war es für die Folge unbrauchbar. Bei der unwillkürlichen Bewegung, sich wieder ins Gleichgewicht zu bringen, schwankte der Sack auf seinem Kopfe, und das Messer, das er schon wieder in diesen gesteckt hatte, glitt heraus und fiel hinunter, wodurch das Wasser geräuschvoll aufspritzte.
    Das Lied des Wachpostens wurde plötzlich unterbrochen. Vasquez hörte, wie er vom Vorderkastell herabstieg, über das Deck hinging und auf dem Hinterdeck erschien. Sein Schattenbild lag deutlich auf der Fläche des Meeres. Über die Schanzkleidung hinausgebeugt, suchte der Matrose offenbar die Ursache des ungewöhnlichen Geräusches zu erkennen, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Lange blieb er in dieser Lage, während Vasquez, die Knie fest geschlossen und die Nägel in das schlüpfrige Holz fast eingedrückt, seine Kräfte allmählich schwinden fühlte.

    Durch die herrschende Stille beruhigt, entfernte sich der Matrose endlich und begann, nach dem Vorderteile zurückgekehrt, sein Lied aufs neue.
    Vasquez zog das Feuerzeug aus dem Sacke und schlug mit dem Steine kräftig an den Stahl. Da sprühten einige Funken hervor. Die Lunte fing Feuer und glimmte lautlos weiter.
    Sofort ließ sich Vasquez am Ruder hinabgleiten, tauchte wieder ins Wasser und schwamm mit unhörbaren Bewegungen dem Lande zu.
    In dem Versteck, wo er allein zurückgeblieben war, war Davis die Zeit unendlich lang geworden. Eine halbe Stunde, dreiviertel, eine ganze Stunde verrann. Davis, der sich nicht mehr bezwingen konnte, kroch aus dem Loche hervor und blickte voller Angst nach dem Wasser hinaus. Was konnte Vasquez zugestoßen sein? Wäre sein Unternehmen vielleicht mißglückt? Jedenfalls konnte er nicht entdeckt worden sein, da sich keinerlei Geräusch hören ließ.
    Plötzlich donnerte, von dem Echo der Hügel wiederholt, eine dumpfe Explosion durch die Stille der Nacht, eine Explosion, der ein betäubendes Getrappel von Füßen und ein wildes Geschrei folgte. Wenige Augenblicke später tauchte ein von Wasser und Schlamm triefender Mann auf, der in vollem Laufe näher kam, Davis beiseite schob, dann mit ihm in das Loch schlüpfte und endlich mit dem Steinblocke den Eingang dazu verbarg.
    Fast gleichzeitig stürmte aber auch ein Trupp von Männern schreiend vorüber. Wie laut auch deren grobe Schuhe auf den steinigen Boden schlugen, sie übertönten doch nicht die Stimmen der Leute.
    »Fest!… Vorwärts! rief einer. Den bekommen wir!
    – Ich habe ihn gesehen, wie ich dich vor mir sehe, sagte ein andrer. Er ist allein.
    – Und hat keine hundert Meter Vorsprung.
    – O, dieser Hallunke! Doch, den fassen wir!«
    Der Lärm wurde schwächer und schwieg endlich ganz.
    »Es ist also gelungen? sagte Davis leise.
    – Jawohl, bestätigte Vasquez.
    – Und ihr glaubt, mit vollem Erfolge?
    – Das hoffe ich,« erwiderte der Turmwärter.
    Beim Tagesanbruche verscheuchte ein Klappern von Hammerschlägen hierüber jeden Zweifel. Da man so emsig an Bord der Goelette arbeitete, mußte diese einen größern Schaden erlitten haben und der tollkühne Versuch des Turmwärters gelungen sein.
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