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Der letzte Vorhang

Der letzte Vorhang

Titel: Der letzte Vorhang
Autoren: Annette Meyers
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denn das große,
landesweit vertretene Haus hatte bis dahin noch nie ein kleines Büro
eingerichtet, sondern es vorgezogen, seine zahlreichen Zweigstellen sämtlich
mit sechzig und siebzig Brokern zu besetzen. Die Größe bedeutete Einsparung.
Daß sie sich für »Mad« Fiske als Büroleiter entschieden hatten, war dennoch
keine Fehlkalkulation gewaltigen Ausmaßes, die einzig und allein der Tatsache,
daß er in einem Anzug gut aussah, zugeschrieben werden mußte. Plus ça
change, plus c’est la même chose. In Wall Street wog die Wahrnehmung noch
immer schwerer als die Wirklichkeit.
    »Wie ich höre, darf man gratulieren, Madison«,
sagte Wetzon. Seinen Namen abzukürzen, war tabu.
    »Darauf habe ich lange gewartet, Verehrteste.
Sie sind die größten Fleischlieferanten dieser Firma. Jetzt möchte ich, daß Sie
sich an die Arbeit machen und meinen Brokertyp für mich finden.«
    »Ihren Typ?«
    »Ja. Ihre Partnerin kennt den Typ, den ich mag.
Fragen Sie sie. Wir haben darüber geredet, als ich letzte Woche in New York war
und Sie keine Zeit hatten.«
    Das war ein Vorwurf. Wetzon verdrehte die Augen.
Mit Versprechungen war Smith ganz groß, doch die Einlösung halste sie dann
Wetzon auf. Sie seufzte und zog einen leeren Stenoblock vor. »Smith ist im
Moment nicht hier, Madison, warum schildern Sie nicht mir genau, wonach Sie
suchen?«
    »Angelsächsisch-protestantische Typen wie ich,
Wetzon, sind die einzigen, die ich für mein Büro in Betracht ziehe. Ich weigere
mich einfach, andere Typen einzustellen.«
    Sag nichts mehr, dachte sie. In bewußt neutralem
Ton fragte sie: »Was für andere Typen?«
    »Sie wissen schon, diese Typen, die hier um Palm
Beach herum Geschäfte machen, diese jüdischen und italienischen Ganoven aus New
York und Brooklyn. Und diese Neurotiker von Long Island.«
    »Alles klar, Madison.« Sie wußte, daß seine
Liste der Unerwünschten drei Viertel der Leute in der Maklerbranche und, was
das anging, in Amerika ausschloß. Es erstaunte sie immer wieder von neuem, daß
die Madison Fiskes der Finanzgemeinde, die schon fast auf der Liste der
bedrohten Arten standen, sich immer noch aufführten, als gehörte ihnen die Wall
Street.
    »Und, Wetzon, hören Sie genau zu. Ich will keine
dicken, häßlichen Leute, die nicht wissen, wie man sich anzieht oder anständig
ißt.«
    Wetzon hielt den Telefonhörer vom Ohr weg und
starrte ihn an. »Also gut, Madison, was halten Sie davon, wenn ich runterfahre
und mit den Leuten persönlich bei einem Essen spreche, damit ich nachprüfen
kann, wie sie aussehen und wie sie essen?« Sie hatte nichts dergleichen vor und
konnte sich genau das Geschrei des altmodischen, konservativen Hayden Ross
vorstellen, sollte sie ihm eine Rechnung über ihre Auslagen zusenden. Selbst
ein Hohlkopf wie Madison Fiske mußte einsehen, daß dies nicht die richtige
Methode war, Geschäfte zu machen.
    Doch Madison antwortete: »Das ist ein sehr guter
Gedanke.«
    Sie legte auf, bevor sie etwas zu ihm sagen
konnte, das sie hinterher vielleicht bedauern würde, und blätterte den Stapel
von Nachrichtenzetteln auf ihrem Schreibtisch durch. »Darauf kannst du warten,
bis du schwarz wirst.«
    Ach du meine Güte! Die stellvertretende
Staatsanwältin Marissa Peiser hatte spät noch angerufen. Wetzons Puls
beschleunigte sich. Anfang des Jahres hatte sie Peiser Beweismaterial
ausgehändigt, aus dem hervorging, daß Richard Hartmann, der berühmte
Strafverteidiger — und nebenbei der aktuelle Liebhaber von Smith — Geld wusch.
    Peiser hatte versprochen, Wetzon nach
Möglichkeit herauszuhalten, weil ihr die Beweise nach einem Einbruch in die
Hände gefallen waren; was die Verwendung vor Gericht kaum möglich machte.
    Wetzon seufzte. Was sie brauchte, war eine Tasse
Kaffee. Sie ging in den Empfangsbereich, kam mit der Kanne zurück und füllte
sie aus der Dusche im Bad, die sie vorsichtig zur Seite hielt, um sich nicht
naß zu spritzen; dann goß sie das Wasser in die Kaffeemaschine. Es war halb
neun. Sie war früh gekommen, da sie sich weder mit dem Hund noch mit Silvestri
abgeben mußte. In der kostbaren Stunde zwischen acht und neun war es im Büro
meist ruhig. Die Büroleiter kamen zeitig und waren dann auch leichter zu
erreichen, bevor der Markt um neun Uhr dreißig eröffnete. Ältere Börsenmakler
waren immer noch früh zur Stelle, um ihren Tag zu planen und mit Kunden zu
reden, wie sie es seit Jahren gehalten hatten — in der Zeit, als der Markt noch
um zehn öffnete.
    Die neue Generation
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