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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf
Autoren: Heinz G. Konsalik
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von vier Mann, die der Krieg verfolgte.
    Es dauerte über eine Stunde, bis das Mädchen zurückkam.
    An seiner Seite stieg ein älterer Mann den Hang hinauf. Er hatte einen großen, aus Maisstroh geflochtenen Hut auf dem Kopf und trug in der Hand eine flache Tasche. Das Mädchen schleppte an einem Strick vier große Tonkrüge, deren Öffnungen mit Wolltüchern zugebunden waren.
    Auf halber Höhe blieben sie stehen und sahen hinauf zum Waldanfang unterhalb der Felsen. Sie sahen im Sonnenlicht das Aufblitzen der Gewehrläufe. Der alte Mann hob die Tasche und schwenkte den breitkrempigen Hut.
    »Doktor!« rief er den Hang hinauf.
    Michael Peters preßte die Lippen aufeinander. Er wollte es nicht, er zwang sich, es nicht zu tun … aber er konnte es nicht aufhalten. Er weinte. Dicke Tränen rollten über seine eingefallenen Wangen und überschwemmten sein Jungengesicht.
    »Ein Arzt«, stammelte er. »Ein Arzt … Ich werde mein Bein behalten!«
    Willi Kleinhans richtete sich auf und winkte mit beiden Armen zurück. Langsam kam der Arzt näher. Er behielt den Hut in seiner Hand und verbeugte sich korrekt vor den vier deutschen Soldaten.
    »Georghe Brinse«, stellte er sich vor. Er sah sich im Kreise um und bemerkte das mit Tüchern abgedeckte Bein Michaels. Er winkte, kniete sich neben Peters ins Gras und untersuchte den Fuß.
    Das Mädchen hatte außer den Krügen mit rotem Wein auch noch drei große Würste und zwei runde Brote mitgebracht. Willi Kleinhans stapelte alles ins Gras und stellte sich breitbeinig darüber.
    Kameradschaft hört meistens dort auf, wo es um das nackte Leben geht. Er wollte es nicht darauf ankommen lassen.
    Der Arzt hatte seine Tasche geöffnet. Er holte Pinzetten, eine lange, gebogene Schere, einige Salbentöpfe und Fläschchen hervor und begann, Michaels Geschwüre aufzuschneiden und mit einer Flüssigkeit auszuwaschen. Dann strich er eine leuchtend grüne Salbe über die Wunde. Es brannte höllisch. Peters verzog das Gesicht und knirschte mit den Zähnen.
    Georghe Brinse sah kurz von seiner Arbeit hoch in das junge Gesicht Michaels.
    »Germanskij … tichij …« (Deutscher – still!), sagte er in fehlerhaftem Russisch. Peters verstand ihn und nickte. »Skoro wisdorowstj … (Bald gesund werden … )«
    Er legte den Topf mit der grünen Salbe, einige Verbände und die Schere neben Peters' Fuß ins Gras und erhob sich. Er setzte seinen Hut auf und faßte das kleine Mädchen an der Hand.
    »Ja (Ich) Prijatel Germanskij …« (Freund von Deutschen). Georghe Brinse reichte seine Hand hin. Anton Haindl war der erste, der sie kräftig drückte.
    »Dös vergeß ma dir net, Dokter«, sagte er breit. »Wann'st magst, kommst a mal auf mein Hof im Allgäu …«
    Willi Kleinhans sah das Mädchen dankbar an. »Ich danke dir«, sagte er langsam. Er wußte, daß sie ihn nicht verstand, aber den Ton seiner Stimme konnte sie begreifen. »Wenn du groß bist und einmal selbst Kinder haben wirst, wirst du begreifen, was du heute an uns getan hast. Vielen Dank, mein Mädchen …«
    Er beugte sich vor und küßte das Mädchen schnell auf die Stirn.
    Sie starrte ihn an, mit großen, schwarzen, flackernden Augen. Dann riß sie sich aus der Hand Georghe Brinses los und rannte den Hang hinab. Sie flog fast, und im Laufen schrie sie mit heller Stimme den Ziegen zu, trieb sie vor sich her, zum Dorf zurück, als flüchte sie vor einem Wolfsrudel.
    Der Arzt lächelte. Er suchte nach russischen Worten und würgte an ihnen.
    »Ana (Sie – ) Sonja Patrascu …«
    »Sonja –« Kleinhans sah ihr nach, wie sie mit wirbelnden, nackten Füßen durch das hohe Gras hüpfte, einer Gazelle gleich, die über die Steppe flüchtet.
    Anton Haindl stieß Bornemann in die Seite und grinste breit. »Jetzt reißt's ihn!«
    Michael Peters lag auf der Erde. Er hielt die Augen zusammengekniffen. Die Salbe schien den Fuß abzubrennen. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn und rann über den zuckenden, weichen Mund.
    Als das Brennen nachließ und er sich aufrichtete, waren Georghe Brinse und das Mädchen längst gegangen. Kleinhans saß unter der Kiefer und teilte wieder peinlich genau die Portionen.
    »Hier bleiben wir!« sagte der Haindl Toni. »Dös Madl zieh'n wir uns …«
    »Nix da! Heute nacht geht's weiter!« sagte Bornemann fest. »Wir woll'n doch nach Hause, oder nicht?«
    Nach Hause, nach Deutschland. Anton Haindl senkte den struppigen Kopf. Wo liegt Deutschland, dachte er. Wie viele hundert oder tausend Kilometer weit entfernt?!
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