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Der letzte Coyote

Der letzte Coyote

Titel: Der letzte Coyote
Autoren: Michael Connelly
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schrien. Nachdem man ihn aus dem Wasser geholt hatte, hatte Harry sich ein ausgebleichtes und verwaschenes Handtuch um die Schultern gelegt, das sich wie Pappe anfühlte. McKittrick sagte ihm, was passiert war, und er ging zurück ins Schwimmbecken, um seine Schreie unter den Wellen zu ersticken.
    Die ergänzenden Berichte zu den vorherigen Verhaftungen des Opfers blätterte er schnell durch, bis er zu dem Autopsiebericht kam. Er übersprang das meiste – die Details waren nicht so wichtig – und hielt sich an die Zusammenfassung, die eine Reihe Überraschungen enthielt. Die Todeszeit war auf sieben bis neun Stunden vor der Entdeckung der Leiche festgesetzt worden. Um Mitternacht. Überraschend war die offizielle Todesursache: Kopfverletzung durch einen stumpfen Gegenstand. Der Bericht beschrieb eine tiefe Kontusion ohne Platzwunde über dem rechten Ohr, die eine tödliche Gehirnblutung verursacht hatte. Laut Bericht hatte der Mörder vermutlich geglaubt, daß er das Opfer erwürgte, nachdem er es anscheinend bewußtlos geschlagen hatte. Aber der Gerichtsmediziner war zu dem Schluß gekommen, daß Marjorie Lowe bereits tot war, als der Mörder ihr den eigenen Gürtel um den Hals legte und zuzog. Im Bericht stand außerdem, daß man Sperma in der Vagina gefunden, aber sonst keine der mit Vergewaltigung verbundenen Verletzungen festgestellt hatte.
    Als Bosch die Zusammenfassung noch einmal mit professionellen Augen las, erkannte er, daß das Ergebnis der Autopsie mehr Fragen aufgeworfen als geklärt hatte. Das Aussehen der Leiche hatte darauf schließen lassen, daß Marjorie Lowe Opfer eines Sexualverbrechens gewesen sei. Das schien auf eine Zufallsbegegnung hinzudeuten – zufällig wie die Paarungen in ihrem Beruf –, die zu ihrem Tod führte. Aber der Umstand, daß sie erst nach dem Tod erwürgt wurde und daß man keine überzeugenden Indizien für eine Vergewaltigung entdeckt hatte, eröffnete noch eine andere Möglichkeit. Einige Faktoren schienen darauf hinzudeuten, daß sie von jemandem ermordet worden war, der seine Täterschaft und sein Motiv als Sexualverbrechen getarnt hatte.
    Bosch konnte sich nur einen Grund für solch eine Irreführung denken. Der Mörder kannte das Opfer. Beim Weiterblättern fragte er sich, ob McKittrick und Eno zu dem gleichen Schluß gekommen waren.
    Als nächstes kam ein großer, brauner Umschlag, auf dem vermerkt war, daß er Fotos vom Tatort und der Autopsie enthielt. Bosch zögerte lange und legte ihn dann beiseite. Wie beim letztenmal, als er das Mordbuch aus dem Archiv geholt hatte, fühlte er sich nicht in der Lage, sie anzusehen.
    Ein weiterer Umschlag kam zum Vorschein, an den eine Inventarliste der Beweisstücke geheftet war. Sie war nicht umfangreich.
     
    SICHERGESTELLTE BEWEISMITTEL
    Fall 61-743
    Fingerabdrücke, sichergestellt auf Ledergürtel mit silbernen Muscheln,
    Laborbericht, Nr. 1114 6.11.61.
     
    Tatwaffe: schwarzer Ledergürtel mit Muscheln (Eigentum des Opfers).
     
    Kleidung und Eigentum des Opfers. Hinterlegt in Schließfach 73B, Asservatenkammer, Polizeipräsidium.
    1 Bluse, weiß – Blutflecken
    1 Rock, schwarz – entlang der Naht zerrissen
    1 Paar Schuhe, schwarz, hohe Absätze
    1 Paar Nylonstrümpfe, schwarz, zerrissen
    1 Damenschlüpfer, zerrissen
    1 Paar Ohrringe, Goldimitation
    1 Armreifen, Goldimitation
    1 Halskette mit Kreuz, Gold
     
    Das war alles. Bosch studierte die Liste lange, bevor er die Einzelheiten in sein Notizbuch eintrug. Irgend etwas stimmte nicht, aber er konnte nicht sagen, was. Noch nicht. Er nahm zuviel Information auf und mußte warten, bis sich alles setzte. Dann würden die Unstimmigkeiten sichtbar werden.
    Er zerbrach sich nicht weiter den Kopf und öffnete den Umschlag mit den Beweistücken, indem er ein brüchig gewordenes, rotes Klebeband aufriß. Zum Vorschein kam eine gelbe Karte, auf die zwei komplette Fingerabdrücke, Daumen und Zeigefinger, und mehrere Teilabdrücke geklebt waren, nachdem man sie vom Gürtel mit schwarzem Pulver abgezogen hatte. Dann eine rosa Inventarkarte für die Kleider des Opfers, die in einem Fach der Asservatenkammer aufbewahrt wurden. Die Kleider waren nie entfernt worden, da der Fall nie zur Anklage gekommen war. Bosch legte beide Karten zur Seite und fragte sich, was mit den Kleidern passiert war. Parker Center war Mitte der sechziger Jahre entstanden und die Polizei war aus dem alten Präsidium ausgezogen. Es stand schon lange nicht mehr, zerstört von der Abrißbirne. Was passierte mit
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