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Der Letzte Bus Nach Woodstock

Der Letzte Bus Nach Woodstock

Titel: Der Letzte Bus Nach Woodstock
Autoren: Colin Dexter
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aufwendig gelebt hatte, bedenkt man, daß sie nur eine einfache Bürokraft gewesen war. Viele Kleider, eine Unmenge Schuhe. Vielleicht war sie eine Gelegenheitsprostituierte und forderte von Crowther hinterher Geld. Vielleicht wollte oder konnte er sie nicht bezahlen, oder sie war mit dem, was er ihr anbot, nicht zufrieden. Wie dem auch sei. Ich konnte mir zur Not noch vorstellen, daß Bernard in plötzlicher Wut zum Montiereisen gegriffen und sie erschlagen hatte. Aber im Grunde war er ein Mann mit Skrupeln und Prinzipien. Selbst wenn er sie ermordet hätte, wäre das noch keine Erklärung für den Zustand, in dem wir die Tote fanden. Ich spreche jetzt nicht von der tödlichen Kopfwunde. Wissen Sie noch, Lewis, wie Sie vor etwas mehr als einer Woche die Fotos von Sylvia Kayes Leiche ansahen und zu mir sagten, Sie wünschten, wir würden bald herausfinden, wer das war, der ihr die Bluse zerfetzt und sie so hat liegenlassen – allen Blicken preisgegeben?«
    Lewis nickte. »Sie haben damals geantwortet, daß Sie das längst wüßten.«
    »Daß wir das längst wüßten. Sie wissen es nämlich auch, Lewis. Ich war ja lange Zeit überzeugt davon, daß Bernard Crowther Sylvia Kaye ermordet hatte, aber ich konnte mir, wie gesagt, nicht vorstellen, daß sie dann hinterher so ausgesehen hätte. Und im Laufe der Ermittlungen wurde mir allmählich klar, daß sich unter den Personen, die wir im Zusammenhang mit dem Fall verhört hatten, ein junger Mann befand, dem es auf Grund seines – man muß schon sagen – krankhaften Trieblebens zuzutrauen war, daß er sich an der Toten zu schaffen gemacht hatte, John Sanders. Er war an dem Abend mit Sylvia verabredet. Wir wissen, daß er eine Vorliebe für harte Pornographie einschließlich mancher ihrer abartigen Varianten hatte. Donnerstag vor einer Woche war ich bei ihm zu Hause. Stapelweise dänische Magazine und obszöne Postkarten, sein Zimmer ist voll mit dem Zeug. Ich brauche das wohl nicht weiter auszuführen. Er ist krank, Lewis, und er und auch seine Mutter wissen es. Aber er ist nicht sadistisch oder brutal. Er hätte Sylvia nie vergewaltigt und ermordet. Das, was er mit ihr angestellt hat – die zerfetzte Bluse und die Blutergüsse an den Brüsten –, hat er getan, als sie schon tot war. Er hat mir gestanden, daß das eine häufig wiederkehrende Phantasie von ihm sei – die Leiche eines Mädchens zu entkleiden.«
    Lewis stöhnte unwillkürlich auf und hob abwehrend die Hand.
    »Ach, Lewis, wissen Sie, wenn man sich den Hintergrund derartiger Tagträume einmal genauer ansähe, dann würden sie uns vielleicht gar nicht mehr so monströs erscheinen.«
    Lewis dachte einen flüchtigen Moment an die beiden Pornofilme, die er sich sozusagen in dienstlichem Auftrag angesehen hatte. Was dort gezeigt worden war, war schon etwas ausgefallen gewesen, aber es hatte ihn trotzdem durchaus nicht kalt gelassen, oder vielleicht … Er dachte den Gedanken nicht zu Ende.
    »Sanders und Sylvia kannten sich recht gut. Sie trafen sich meistens in Woodstock in der Lounge des Black Prince , tranken etwas und gingen dann zu ihm nach Hause und aufsein Zimmer. Sie ließ sich dafür jedesmal bezahlen. Und nicht zu knapp.«
    »Wenn man bedenkt, daß er sich außerdem noch die Hefte kaufte und in die Pornofilme ging – viel Geld für etwas anderes kann ihm da nicht mehr geblieben sein.«
    Morse nickte. »Ja, das stimmt wohl. An dem Abend, als Sylvia ermordet wurde, hatte er seit ungefähr Viertel vor acht auf sie gewartet. Er hatte einen Whisky nach dem anderen getrunken und wurde, als sie nicht auftauchte, immer unruhiger. Er trat mehrere Male vor die Tür, um nach ihr Ausschau zu halten. Als er dann auf den Hof ging, weil ihm vom vielen Whisky schlecht war, fand er sie. Er muß durch die seit Stunden angestaute sexuelle Spannung und den Alkohol völlig die Kontrolle über sich verloren haben. Er sagt, es sei reiner Zufall gewesen, daß er sie überhaupt gesehen habe, und das glaube ich ihm.«
    »Und dann hat er sich auf ihre Leiche gestürzt und …«
    »Ja.«
    »Aber der gehört doch in Behandlung!«
    »Er hat mir hoch und heilig versprochen, sich um eine Therapie zu bemühen. Aber ich bin skeptisch, ob er seinen guten Vorsatz auch wirklich in die Tat umsetzen wird.«
    »Für die zerrissene Bluse und die Blutergüsse hatten Sie jetzt also eine Erklärung.«
    »Ja, alles schön und gut, aber was nützte mir das? John Sanders war nicht mehr als eine Randfigur. Mir war von Anfang an klar, daß er mit
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