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Der Letzte Askanier

Der Letzte Askanier

Titel: Der Letzte Askanier
Autoren: Horst Bosetzky
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die europäischen Adligen – Franzosen, Engländer, Deutsche und Ungarn – ihre Kreuzzüge gegen das Heidentum am Nordostrand des Abendlandes. Was christlich war, konnte hier, so hieß es, wohlfeile Lorbeeren erringen. Für Witen war das keine große Neuigkeit, und eigentlich hätte er keinen Grund gehabt, sehr aufgeregt zu sein, wenn da nicht etwas anderes gewesen wäre: »Ich muß hier raus, bevor es losgeht«, flüsterte er dem Kammerdiener zu.
    »Wie sieht's denn aus?« war Vitjanis' bange Frage.
    »Hier …« Witen führte ihn zu einer Mauernische und zog einen Wandteppich beiseite. »Der Mörtel ist herausgekratzt. Ich kann die Steine einzeln hervorziehen, wenn ich will. Die Mauer ist an dieser Stelle nicht sehr dick.«
    »Ich hab's ja gesagt.«
    Witen umarmte den Freund. »Ich danke dir!« Vitjanis hatte ihm die Werkzeuge in die Zelle geschmuggelt. »Wenn wir draußen sind, sollst du deinen Bauernhof haben. Aber beeilen wir uns. Sollte es zum Krieg kommen, könnten sie mich woandershin schaffen.«
    »Wenn ich die leeren Schüsseln abhole, bringe ich dir ein Seil.«
    Witen versuchte zu essen, obwohl sein Magen rebellierte. Aber es mußte sein, denn niemand wußte, wann sie wieder zu etwas Eßbarem kamen.
    Endlich brachte Vitjanis das Seil. Und kaum hatte er, die leeren Schüsseln in den Händen, den Kerker wieder verlassen und artig die Riegel vorgeschoben, machte sich Witen auch schon ans Werk. Draußen war es inzwischen dunkel genug. Schnell waren die Steine aus der Mauer gezogen. Er band das Seil an die Tür, quetschte sich durch die selbstgeschaffene Öffnung und ließ sich zum Burggraben hinunter, wo Vitjanis schon wartete und ihm einen weißen Ordensmantel mit dem schwarzen Kreuz um die Schultern legte. Niemand hatte sie bisher bemerkt.
    »Nun über die Mauer. Ich helfe dir.«
    Auch das glückte. Jenseits der Mauer standen zwei gesattelte Pferde. Sie schwangen sich hinauf.
    »Die werde ich dem Hochmeister mit herzlichen Grüßen zurückschicken, wenn wir erst in Vilnius sind«, lachte Witen leise.
    »Wenn … Erst müssen wir am Wächter vorbei. Wenn er uns das Tor nicht öffnet, dann ist alles aus.«
    »Er wird uns öffnen: einem Ordensritter mit seinem Knappen.«
    »Sprich nur nicht mit ihm!« warnte Vitjanis.
    »Los!«
    Bis zum Tor waren es gute zweihundert Meter.
    Gegen die undurchdringlichen Wälder Litauens waren die der Mark fast lichte Haine. So jedenfalls erschien es Meinhard von Attenweiler im Rückblick, als er jetzt an der Seite Heinrichs von Roddach in Richtung Vilnius ritt. Manche Sümpfe und Moore hier hatte noch nie ein Mensch gesehen, und wenn man in dieser Wildnis vorankommen wollte, mußte man sich Flüsse, Seen und Bäche suchen, an deren Ufern es sich halbwegs sicher reiten ließ. Vor ihnen stiegen die Kraniche und die Reiher in den blauen Himmel auf. Mit seinen sandigen Höhenzügen und seinen fetten Niederungen war es ein liebliches Land, und zu essen fanden sie genug. Wild und Fisch gab es im Überfluß, und die Beeren wuchsen ihnen beinahe in den Mund.
    Vom markbrandenburgischen Landsberg waren sie losgezogen, hatten polnische Gebiete durchquert und waren dann durch Landschaften gekommen, deren Namen Meinhard sich kaum merken konnte: Pomorellen, Pogesanien, Warmien, Natangen, Nadrauen und Schalauen. Hinter Ragnit an der Memel, wo in der starken Festung die deutschen Ordensritter und andere Herren zur nächsten Litauerfahrt versammelt waren, hatten sie Litauen erreicht. Nun aber ging es nur noch langsam voran, und sie konnten nur hoffen, Kaunas und Vilnius zu erreichen, bevor es Herbst geworden war.
    »Früher haben die Vandalen, Burgunder, Goten und Gepiden hier gewohnt, dann die Stämme der Aestier, die weder Slawen noch Germanen sind und in Litauer, Letten, Kuren und Pruzzen zerfallen.« Meinhard hatte sich in Prag kundig gemacht. Adalbert, Bischof von Prag, hatte mit der Christianisierung dieser Ländereien begonnen – 997 schon. Sie schien ihm notwendig, denn man sagte, daß die Heiden dort Vielweiberei betrieben, sich Frauen kauften, wenn sie welche begehrten, und Mädchen töteten, wenn es zu viele gab. Die Erfolge der Christen hatten sich jedoch in Grenzen gehalten, so daß der Papst ab 1217 nicht mehr auf die friedliche Verkündigung des Evangeliums setzte, sondern auf die Zwangstaufe mit Hilfe des Schwertes. Der Kreuzzug Richtung Nordosten begann, und die Einheimischen wehrten sich nach Kräften. Beide Seiten überboten sich an Grausamkeiten. Gefangene wurden
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