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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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Boden ist durchgebrochen.«
    »Macht nichts«, erwiderte ich.
    »Der Höhepunkt ist die Aussicht«, meinte sie. »Sie geht auf den Balkon gegenüber. Gib acht, wenn du dich ausziehst: Der Nachbar ist nicht gerade ein Kavalier.«
    Das ist kein Problem, ich sehe ihn nie. Manchmal klingelt sein Handy, beharrlich, doch er geht nicht ran und schaltet es auch nicht aus. Dann verstummt es ein Weilchen, fängt wieder an und hört den ganzen Abend lang nicht mehr auf. Einen so zähen Willen, jemanden zu ignorieren, kann ich mir einfach nicht vorstellen undebenso wenig eine derartige Engelsgeduld, ad infinitum zu warten, bis jemand den Anruf entgegennimmt.
    Während ich auf sein Fenster starre, beruhigt sich mein Herz allmählich und die Beine hören auf zu zittern. Den Ekel verspüre ich jedoch noch immer und ebenso das Verlangen, eine menschliche Stimme zu hören.
    Auf Skype meldet sich niemand. Rasch kontrolliere ich meine E-Mails: nur Spam und eine automatische Auswahl von Stellenangeboten, der ich entnehme, dass es in meiner Heimatstadt nichts für mich gibt.
    Ohne das Licht einzuschalten, gehe ich in die Diele.
    Margheritas Tür ist nur angelehnt. Ich klopfe an und drücke sie behutsam auf.
    »Darf ich reinkommen? Bist du wach?«
    Ich führe ein Selbstgespräch. Margherita ist nicht da.
    Von ihrem Zimmer aus sieht man das übrige Gebäude. Die Wohnungen, die über einen gemeinschaftlichen Balkon zugänglich sind, setzen alle den Blicken aller aus, und selbst zu dieser nachtschlafenden Zeit habe ich den Eindruck, dass hinter den geschlossenen Fenstern jemand steht, der in meine Richtung blickt. Ihr macht das offenbar nichts aus, sonst hätte sie statt dieser dünnen Gardine eine dichtere aufgehängt. Wie mir scheint, macht ihr fast nichts etwas aus.
    Seit vier Jahren lebt sie in dieser Wohnung und hatte bereits fünf Mitbewohnerinnen. Die Wohnungseigentümerin nennt sie »die Alte« und trifft sie nie, nicht einmal, um die Miete zu zahlen. Die überweist sie online, und falls in der Wohnung ein Problem auftaucht, erledigt sie es lieber selbst.
    »Wenn Gas austritt, etwas tropft, Feuer fängt, platzt, brauchst du nur zu schreien: Ich kümmere mich schon darum.«
    Im Laufe der Jahre hat sie allen Dingen in ihrem Zimmer und der Wohnung ihren Stempel aufgedrückt. Die Schreibtischlampe hat den Korpus aus Plastik eingebüßt, sie besteht nur noch aus einem Kabel, das mit Tesafilm an die Wand geklebt wurde. Der Schuhschrank in der Ecke dient auch als Ablage für ihr Schminkzeug. An den Wänden hängen Filmplakate in Schwarzweiß, auf denen Margherita jedoch mit rotem Filzstift Zitate notiert hat.
    »Lass mich wissen, ob sie in festen Händen ist«, sagte Massimiliano, bevor er wieder nach Neapel zurückfuhr. »Oder ob sie das Zimmer aus irgendeinem Grund aufgibt. Das übernehme ich dann und zahle auch ihre Miete.«
    Im Bücherregal viele Filme und wenige Bücher. Eine verzierte Holzschachtel, die hübsch aussieht und sich gut anfühlt. Darin Tabak und Zigarettenpapierchen.
    Die Schritte auf der Treppe lassen mich erstarren. Ertappt, denke ich, bis ein Schlüssel die Tür unserer Nachbarn aufsperrt.
    Es ist nicht Margherita. Ich kann aufatmen, mich ihrem Schrank widmen, der kleiner ist als meiner, aber keinen durchgebrochenen Boden hat. Jacken und Mäntel hängen ordentlich aufgereiht nebeneinander. Aus den Taschen spitzen Handschuhe und Schals hervor.
    Das reicht, denke ich. Mach zu und geh. Was mich zurückhält, ist das nur halb unter den Pulloverstapel geschobene Foto: Eine Frau, die auf einer Wiese sitzt, blickt mit einem gezwungenen Grinsen ins Objektiv. Irgendjemand hat sie soeben gebeten zu lächeln. Ein kleines Mädchen vor ihr steckt eine Hand in den Mund und versucht mit der anderen, einen Ball festzuhalten. Oder ihn wegzustoßen. Oder sich auch noch die zweite Hand in den Mund zu stecken.
    Hinten auf dem Foto steht kein Datum, auch der Ort ist nicht angegeben. Irgendwo schüttelt mein Vater den Kopf als Zeichen der Missbilligung.
    Ich lege es wieder an seinen Platz, schalte das Licht aus und lehne die Tür an. Mit vorgestreckten Händen, um nirgendwo dagegen zu stoßen, kehre ich in mein Zimmer zurück. Ich habe mir in den Kopf gesetzt, kein Licht zu machen – wenn das so weitergeht, wird mir die Wohnung ewig fremd bleiben.
    »Heul doch nicht«, sagte Massimiliano und ließ meine Hand los. Er stieg ins Auto, deutete auf den Rückspiegel. »Wenn ich dich immer noch heulen sehe, kehre ich um und versohle dir den
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