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Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Der Leguan will das nicht: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Giusi Marchetta
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bekommen habe, in Turin, morgen muss ich weg. Sie geht bis Juni, das musst du dir mal vorstellen. Bis Juni.
    Das war's eigentlich schon. Ruf mich an, wenn du die Nachricht abhörst. Oder wenn du magst. Ruf mich an.
 
    In der Klasse ist wieder Stille eingekehrt. Zurückhaltend äußern sich die Jungen und Mädchen zu Konstruktionsübungen an der Tafel. Hinten im Klassenzimmer zeichnet Riccardi vor sich hin, wobei seine Blicke umherschweifen, sich vergewissern, dass ich auf Distanz bleibe. Er ist sein eigener Wachhund.
    Ich denke noch ein wenig darüber nach.
    Ok, sage ich mir. Jetzt.
    »Ich brauche mal kurz eure Aufmerksamkeit.«
    Die Schüler hören auf zu zeichnen und starren mich an. Auch Riccardi fixiert mich.
    Ich schreibe KÜNSTLERISCHES GYMNASIUM und 1A auf ein weißes Blatt Papier, lege es dann dem Jungen in der ersten Reihe hin. Auf seinem Zeichenkunstlehrbuch steht Lorenzo.
    »Lorenzo, wie noch?
    »Pasteris.«
    »Würdest du mir das bitte hinschreiben?«
    »Dahin?«
    »Ja. Zuerst in Druckbuchstaben, dann als Unterschrift.«
    Lorenzo zögert einen Augenblick, tut dann aber, was ich sage. Nun ist der Mitschüler zu seiner Linken dran, dann das Mädchen mit den lila Haaren.
    Riccardi hält sich an der Bank fest, schaukelt auf dem Stuhl vor und zurück. Er streckt den Kopf vor, um zu sehen, was die Klassenkameraden machen.
    Einer nach dem anderen setzt seine Unterschrift auf das Blatt. Zuerst die Jungen, dann die Mädchen, die auf einer Seite des Klassenraums eine Gruppe bilden. Sie haben lange Haare, einen schmächtigen Körperbau, unterscheiden sich wenig voneinander.
    »Danke«, sage ich, als das Blatt bei der Letzten der Reihe ankommt. Sie ist anders, weniger knochig als die anderen. Üppiger und hübscher.
    »Habt ihr alle unterschrieben?«
    Sie blickt mich ausdruckslos an, gibt das Blatt dann an Riccardi weiter, langsam, mit ausgestrecktem Arm, bereit, die Hand sofort zurückzuziehen. Genau so, wie mein kleiner Bruder den Rottweiler der Nachbarn fütterte.
    Riccardi reißt ihr das Blatt aus der Hand, setzt sich wieder hin und hält es in der Faust. Es gehört ihm.
    Glückwunsch , sagt Biagini.
    Ich ignoriere Andrea, der das Blatt mit den Unterschriften der Kameraden zusammenknüllt, in der Faust einschließt.
    Die Kinder schweigen: Sie stülpen sich eine imaginäre Tarnkappe über, die sie unsichtbar macht.
    Es ist ja bloß Papier, sagen sie sich, wir können diesem Knistern lauschen, ohne uns fürchten zu müssen. Es hört jetzt ohnehin auf: Riccardi entwirrt das Papierknäuel und breitet es auf der Bank aus, indem er mit dem Handballen die Falten glatt streicht. Als ihm das Blatt glatt genug erscheint, nimmt er einen Füllfederhalter und beginnt zu schreiben, seinen Vornamen.
    Ich gehe zu ihm und nehme es ihm ab.
    »Danke.«
    Ich bleibe neben ihm stehen, lese. Riccardi fängt wieder an zu schaukeln, ohne mich anzusehen. Seine Haare sind nicht so blond, wie sie mir von weitem erschienen.
    »Du bist Marco«, sage ich zu einem Jungen mit Irokesenkamm, dann entlocke ich ihm auch den Nachnamen. Und wie viele Geschwister er hat und wie alt er ist. Wo er geboren wurde und wo er wohnt.
    »Du bist Daniele, in Mailand geboren und hast einen Bruder, der Matteo heißt. Du hingegen …«, sage ich und beuge mich über seine Bank, »bist Andrea. Stimmt's?«
    Riccardi schaukelt heftig, stößt sich fast an der Tischplatte. Jedes Mal, wenn er innehält, zeichnet er weiter. Für ihn existiere ich gar nicht.
    »Ja, du bist Andrea«, beharre ich und deute auf seine krumme Unterschrift. »Das hast du selbst geschrieben.«
    Auf seinem Blatt nimmt ein Teufel Gestalt an, der dem im Büro der Belcari haargenau gleicht.
    »Das ist Lorenzo Pasteris. Das ist Marco Vazzana. Und du bist Andrea.«
    Riccardi greift sich seitlich in die Haare und zieht daran. Dann widmet er sich wieder seinem Teufel. Feuerzungen schießen aus den Hörnern bis zum Rand des Blattes hoch.
    »Lorenzo Pasteris. Daniele Di Salvo. Marco Vazzana. Und Andrea.«
    »Riccardi«, knurrt er, ohne den Blick zu heben.
    »Andrea Riccardi«, sage ich.
 
    Als die Pausenglocke ertönt, strömen die Schüler in den Flur, rennen die Treppen hinunter, gehen auf den Hof hinaus oder schließen sich in den Toiletten ein, um zu rauchen. Der schleppende Gang der Mädchen, die untergehakt auf und ab gehen, vermischt sich mit dem nervösen Getrampel der Jungs, die von Stockwerk zu Stockwerk rennen, um von dieser oder jener gesehen zu werden, um Chips oder eine Zigarette zu
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