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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit
Autoren: Nelson Mandela
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worden zu sein, als habe man mich all meiner Geburtsrechte beraubt.
    Häuptling Joyi sagte, die Afrikaner hätten in relativem Frieden gelebt bis zum Erscheinen der »Abelungu«, der Weißen, die mit feuerspeienden Waffen von jenseits des Meeres gekommen seien. Einst, sagte er, seien die Thembu, die Pondo, die Xhosa und die Zulu alle Kinder ein und desselben Vaters gewesen und sie seien miteinander ausgekommen wie Brüder. Der weiße Mann, sagte er, zerstörte die »Abantu«, die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Stämme. Der weiße Mann war hungrig und gierig auf Land, und der schwarze Mann teilte das Land mit ihm, so wie sie miteinander auch die Luft und das Wasser teilten; Land war nichts, das Menschen besitzen sollten. Aber der weiße Mann nahm das Land, wie man einem anderen Mann das Pferd nimmt.
    Ich wußte noch nicht, daß die wirkliche Geschichte unseres Landes nicht in den britischen Standardlehrbüchern zu finden ist, nach denen Südafrika mit der Landung von Jan Van Riebeeck 1652 am Kap der Guten Hoffnung begonnen hatte. Von Häuptling Joyi erfuhr ich, daß die Geschichte der Bantu sprechenden Menschen hoch im Norden einsetzte, in einem Land voller Seen und grüner Ebenen und Täler, und daß wir langsam, über Jahrtausende hinweg, bis zur südlichen Spitze dieses großen Kontinents gewandert waren. Später entdeckte ich jedoch, daß Häuptling Joyis Bericht von der afrikanischen Geschichte, vor allem von der nach 1652, nicht immer korrekt war.
    In Mqhekezweni kam ich mir schon ein wenig vor wie der sprichwörtliche Junge vom Land, der in eine Großstadt kommt. Mqhekezweni war weit moderner als Qunu, und die Menschen des Großen Platzes fanden die Bewohner von Qunu rückständig und primitiv. Der Regent war dagegen, daß ich Qunu besuchte; er meinte, ich könnte in meinem Heimatort in schlechte Gesellschaft geraten, und war darauf bedacht, mich in Mqhekezweni zu behalten. Als ich Qunu dann doch besuchte, spürte ich, daß meine Mutter vom Regenten instruiert worden war, denn sie erkundigte sich eingehend danach, mit wem ich denn spielte. Oft jedoch richtete der Regent es so ein, daß meine Mutter und meine Schwestern aus Qunu geholt und zum Großen Platz gebracht wurden.
    Als ich nach Mqhekezweni gekommen war, hatten mich manche meiner Gefährten als einen Tölpel betrachtet, der hoffnungslos ungeeignet war, in der verfeinerten Atmosphäre des Großen Platzes zu leben. Natürlich gab ich mir, typisch für einen jungen Mann, alle Mühe, ein höfliches Benehmen und gute Manieren an den Tag zu legen. In der Kirche war mir eine reizende junge Frau aufgefallen, die, wie es der Zufall wollte, eine der Töchter von Reverend Matyolo war. Sie hieß Winnie, und ich bat sie um eine Verabredung, und sie akzeptierte. Ich konnte spüren, daß sie sehr an mir interessiert war, doch ihre älteste Schwester, nomaMpondo, hielt mich für hoffnungslos rückständig. In der Tat sagte sie ihrer Schwester, ich sei ein Barbar, der nicht gut genug sei für die Tochter von Reverend Matyolo. Um ihrer jüngeren Schwester zu beweisen, wie unzivilisiert ich war, lud sie mich zum Lunch ins Pfarrhaus ein. Ich war noch immer an das Essen zu Hause gewohnt, wo wir keine Messer und Gabeln benutzten. An der Familientafel reichte mir die hinterhältige ältere Schwester einen Teller mit einem Hühnerflügel. Der Flügel war jedoch statt weich und zart ein wenig zäh, so daß das Fleisch nicht mühelos abzulösen war.
    Ich beobachtete, wie die anderen Messer und Gabel zur Hand nahmen und wie geschickt sie damit umgingen. Langsam griff auch ich nach meinem Besteck, beobachtete die anderen noch einige Augenblicke lang und versuchte dann, mit meinem kleinen Flügel zurechtzukommen. Zunächst bewegte ich das Ding nur ein wenig auf meinem Teller herum in der Hoffnung, daß das Fleisch vom Knochen abfallen würde, dann probierte ich, es abzuschneiden. Vergeblich versuchte ich, das Ding zu fixieren, um das Fleisch überhaupt abtrennen zu können, doch der Flügel entschlüpfte mir, und in meiner Frustration stieß ich mit dem Messer klirrend gegen den Teller. Erst nach weiteren vergeblichen Versuchen bemerkte ich, daß mich die ältere Schwester anlächelte, um dann vielsagend zu der jüngeren Schwester zu blicken, als wollte sie ihr zuflüstern: »Ich hab’s dir ja gesagt.« Ich plagte mich weiter und wurde naß vor Schweiß, doch ich wollte das infernalische Ding nicht mit meinen Händen anfassen. An diesem Tag habe ich nicht viel Huhn
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