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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit
Autoren: Nelson Mandela
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Schwester der Königin in dem in der Mitte; und die Hütte links diente als Pantry, als Speisekammer. Unter dem Fußboden in der Hütte der Schwester der Königin befand sich ein Bienenstock, und manchmal hoben wir Fußbodenbretter heraus und schlemmten von dem Honig. Bald nach meiner Ankunft in Mqhekezweni zogen der Regent und seine Frau in das Uxande (mittleres Haus), das automatisch das Große Haus wurde. In seiner Nähe gab es drei kleine Rondavels. Eines davon wurde von der Mutter des Königs bewohnt, das zweite teilten sich Justice und ich, und das dritte war für Besucher reserviert.
    Die beiden Prinzipien, die mein Leben in Mqhekezweni beherrschten, waren das Häuptlingsamt und die Kirche. Diese beiden Doktrinen existierten gleichsam in unstimmiger Harmonie, doch empfand ich sie in gar keiner Weise als antagonistisch. Für mich war das Christentum weniger ein Glaubenssystem als vielmehr der kraftvolle Glaube eines einzelnen Mannes: Reverend Matyolo. Seine eindrucksvolle Persönlichkeit umschloß für mich alles, was das Christentum anziehend machte. In Mqhekezweni war er so populär und beliebt wie der Regent, und die Tatsache, daß er in spirituellen Dingen über dem Regenten stand, beeindruckte mich tief. Doch die Kirche war statt mit dem Jenseitigen vor allem mit dieser Welt befaßt, und ich erkannte, daß praktisch all die Errungenschaften der Afrikaner durch ihre missionarische Tätigkeit erreicht zu sein schienen. Die Missionsschulen bildeten Clerks, Dolmetscher und Polizisten aus, die damals so etwas wie den Gipfel afrikanischer Ambitionen darstellten.
    Reverend Matyolo war ein gewichtiger Mann Mitte Fünfzig, mit einer tiefen und kraftvollen Stimme, die ihm beim Predigen wie auch beim Singen von Nutzen war. Wenn er in der einfachen Kirche am westlichen Ende von Mqhekezweni predigte, quoll der Raum stets von Menschen über. Es hallte nur so wider von Hosiannas, und die Frauen knieten zu seinen Füßen und baten ihn um seinen Segen. Die allererste Geschichte, die ich über ihn hörte, handelte davon, daß Reverend Matyolo ganz allein und nur mit einer Bibel und einer Laterne als Waffen einen gefährlichen Geist verjagt hatte. Damals erkannte ich weder die Unwahrscheinlichkeit noch die Widersprüchlichkeit dieser Geschichte. Der von Reverend Matyolo gepredigte Methodismus war gleichsam Feuer und Schwefel, versetzt mit ein wenig afrikanischem Animismus. Der Herr war weise und mächtig, aber er war auch ein rachsüchtiger Gott, der keine böse Tat ungestraft hingehen ließ.
    In Qunu hatte ich nur einmal die Kirche besucht, und zwar an dem Tag, an dem ich getauft wurde. Für mich war Religion ein Ritual, dem ich mich meiner Mutter zuliebe unterzogen hatte und das mir bedeutungslos erschien. In Mqhekezweni war die Religion jedoch ein fester Bestandteil des Lebens, und gemeinsam mit dem König, der die Religion sehr ernst nahm, und der Königin besuchte ich jeden Sonntag die Kirche. Die einzige Tracht Prügel, die ich je vom König erhielt, bekam ich, als ich einmal den Sonntagsgottesdienst schwänzte, um an einem Kampf gegen Jungen aus einem anderen Dorf teilzunehmen; ein solches Vergehen leistete ich mir nie wieder.
    Reverend Matyolo war indirekt die Ursache für eine weitere scharfe Zurechtweisung, die mir in diesem Fall die Frau des Regenten erteilte. Eines Nachmittags kroch ich mit ein paar anderen Jungen in Reverend Matyolos Garten und klaute ein paar Maiskolben, die wir sofort rösteten und vertilgten. Vielleicht vergnügten wir uns allzu sehr, denn ein junges Mädchen hörte uns im Garten lachen und verpetzte uns sofort beim Priester. Die Neuigkeit machte rasch die Runde und gelangte, später am Tag, bis zur Frau des Regenten. Sie wartete bis zur Gebetszeit am Abend – einem täglichen Ritual im Haus –, um mich mit der Beschuldigung zu konfrontieren und mich dafür zu tadeln, daß ich einem armen Diener Gottes sein Brot gestohlen und der Familie Schande bereitet hätte. Der Teufel, sagte sie, werde mich für diese Versündigung zur Rechenschaft ziehen. Nach dieser Abkanzlung durch meine Stiefmutter empfand ich eine unbehagliche Mischung aus Angst und Scham – Angst vor einer gleichsam kosmischen Maulschelle und Scham, weil ich das Vertrauen meiner Adoptivfamilie mißbraucht hatte.
     
     
    Wegen der allgemeinen Achtung, die der Regent genoß – von Seiten der Schwarzen wie der Weißen –, und der scheinbar unbegrenzten Macht, die er ausübte, sah ich das Häuptlingstum als absoluten Mittelpunkt,
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