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Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit
Autoren: Nelson Mandela
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und durchgeschüttelt von einem schier endlosen Hustenanfall. Selbst für meine jungen Augen war es klar, daß mein Vater nicht mehr lange auf dieser Welt weilen würde. Er muß an irgendeiner Lungenkrankheit gelitten haben, doch es fehlte eine Diagnose, weil mein Vater in seinem ganzen Leben nie einen Arzt aufgesucht hatte. Mehrere Tage blieb er in der Hütte, ohne sich zu bewegen oder zu sprechen, und dann, eines Nachts, schien es ihm schlechter zu gehen. Meine Mutter und die jüngste Frau meines Vaters, Nodayimani, die bei uns wohnte, kümmerten sich um ihn, und später in derselben Nacht rief er nach Nodayimani. Sie ging zu ihm, und er sagte: »Bring mir meinen Tabak.« Meine Mutter und Nodayimani berieten sich und befanden, daß es unvernünftig sei, ihm in seinem Zustand Tabak zu geben. Doch er rief immer wieder danach, und schließlich stopfte Nodayimani seine Pfeife, entzündete sie und reichte sie ihm sodann. Mein Vater rauchte und wurde ruhig. Er rauchte etwa eine Stunde lang, und dann, mit immer noch brennender Pfeife, starb er.
    Ich erinnere mich nicht daran, große Trauer empfunden zu haben, sondern vielmehr ein Gefühl des Abgeschnittenseins. Obwohl meine Mutter der Mittelpunkt meiner Existenz war, definierte ich mich über meinen Vater. Der Tod meines Vaters veränderte mein ganzes Leben in einer Weise, von der ich damals noch nichts ahnte. Nach einer kurzen Trauerzeit teilte mir meine Mutter mit, daß ich Qunu verlassen würde. Ich fragte sie nicht, warum oder wohin.
    Ich packte meine wenigen Habseligkeiten, und eines Morgens brachen wir früh auf zu einer Reise westwärts zu dem Ort, der meine neue Heimat werden sollte. Ich trauerte weniger um meinen Vater als um die Welt, die ich zurücklassen mußte. Qunu war alles, was ich kannte, und ich liebte es in jener bedingungslosen Art, in der Kinder ihre erste Heimat lieben. Bevor wir hinter den Hügeln verschwanden, drehte ich mich um und blickte, wie ich damals meinte, zum letztenmal auf mein Dorf zurück. Ich konnte die einfachen Hütten sehen und die Menschen, die ihre Arbeit verrichteten; das Flüßchen, wo ich mit den anderen Jungen geplanscht und gespielt hatte; die Maisfelder und die grünen Weiden, wo die Herden träge grasten. Ich stellte mir vor, wie meine Freunde nach kleinen Vögeln jagten, köstliche Milch aus dem Euter einer Kuh tranken und herumtollten im Teich am Ende des Baches. Vor allem aber ruhte mein Auge auf den drei einfachen Hütten, wo ich die Liebe und den Schutz meiner Mutter genossen hatte. Es waren diese drei Hütten, die sich für mich verbanden mit all meinem Glück, mit dem Leben selbst, und ich bedauerte, daß ich nicht vor unserem Aufbruch jede einzelne geküßt hatte. Es war für mich unvorstellbar, daß die Zukunft, der ich jetzt entgegenwanderte, in irgendeiner Weise vergleichbar sein würde mit der Vergangenheit, die ich hinter mir ließ.
    Wir reisten zu Fuß und im Schweigen, bis die Sonne langsam dem Horizont entgegensank. Doch das Schweigen des Herzens zwischen Mutter und Kind hat nichts von Einsamkeit. Meine Mutter und ich sprachen nie sehr viel miteinander, das brauchten wir auch nicht. Niemals stellte ich ihre Liebe in Frage oder zweifelte an ihrer Hilfe. Es war eine strapaziöse Reise, über steinige Wege, hügelauf und hügelab, vorbei an zahlreichen Dörfern, aber wir legten keine Rast ein. Am späten Nachmittag, auf dem Grunde eines flachen, von Bäumen gesäumten Tals, gelangten wir zu einem Dorf, in dessen Mitte sich ein Besitz befand, so groß und so schön, daß er bei weitem alles übertraf, was ich je gesehen hatte, und ich nichts tun konnte, als ihn zu bestaunen. Er bestand aus zwei Iingxande (oder rechteckigen Häusern) und sieben prachtvollen Rondavels (bessere Hütten), sämtlich weißgetüncht, ein blendender Anblick selbst im Schein der untergehenden Sonne. Er hatte einen großen Vorgarten und ein von Pfirsichbäumen begrenztes Maisfeld. Hinten breitete sich ein noch größerer Garten aus mit Apfelbäumen, einem Blumenbeet, einem Gemüsegarten und einem Rutengebüsch. In der Nähe stand eine weiße Stuckkirche.
    Im Schatten von zwei Eukalyptusbäumen, die den Eingang des Haupthauses flankierten, saß eine Gruppe von etwa zwanzig Stammesältesten. Auf dem Weidegrund rund um den Besitz graste zufrieden eine Herde von wenigstens 50 Rindern und vielleicht 500 Schafen. Alles wirkte wunderbar gepflegt und bot einen Anblick von Reichtum und Ordnung, der meine Phantasie überstieg. Dies war der Große
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