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Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Autoren: Danielle Steel
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geben konnte – vielleicht niemandem, nicht einmal den hübschen Kindern auf den Fotos. Plötzlich bemitleidete sie seine Familie und ihn ebenfalls, weil er kein Mensch war, nur eine Marionette.
    »Hast du mich jemals geliebt?«, stieß sie schluchzend hervor. Diese hemmungslose Demonstration tiefer Gefühle schien ihn anzuwidern. Peinlich berührt wandte er den Blick ab. Das war ihr egal. Hier ging es nicht um ihn, sondern um
ihr
Seelenheil. Diesen Augenblick würde sie in ihre Zukunft mitnehmen, und sie ließ sich nicht von seinem Schweigen beirren. »Ich habe dir eine Frage gestellt.«
    »Was ich damals empfand, weiß ich nicht mehr. Natürlich muss ich dich geliebt haben – immerhin warst du mein Kind.«
    »Aber nicht genug, um dein neues Leben mit mir zu teilen. Nur neun Jahre lang bist du mein Vater gewesen. Warum?«
    »Weil du das Symbol meiner katastrophalen ersten Ehe warst.«
    »Eher ein Opfer.«
    »Ja – bedauerlicherweise. So wie ich auch.«
    »Wenigstens bist du nicht im Krankenhaus gelandet. Im Gegensatz zu mir.« Gnadenlos suchte sie die Wahrheit. So schmerzlich ihr diese Begegnung auch ans Herz griff – sie bereute nicht, dass sie hierher gekommen war.
    »Schon damals wusste ich, du würdest uns eines Tages verabscheuen. Das versuchte ich ihr zu erklären. Doch sie hatte sich nicht unter Kontrolle.«
    »Warum hasste sie mich so sehr?« 
Und warum hast du mich so wenig geliebt:
Diese Frage kam ihr nicht über die Lippen. Er war unfähig zur Liebe. Das hatte sie in den letzten Minuten erkannt.
    Missmutig sank er in seinem Ledersessel zurück. »Weil sie eifersüchtig auf dich war. Von Anfang an. Schon seit deiner Geburt. Sie konnte einfach keine mütterlichen Gefühle entwickeln. Das wusste ich nicht, als ich sie geheiratet habe. Vielleicht hätte ich's merken müssen ...« Er wiederum kannte keine väterlichen Gefühle – ganz egal, welche Fotos seinen Schreibtisch schmückten. Genervt runzelte er die Stirn. »War es das, Gabriella? Habe ich alle deine Fragen beantwortet?«
    »Die meisten«, entgegnete sie traurig. Manche Fragen würde er wohl nie beantworten können. Er eignete sich einfach nicht zum Vater. In ihrer Fantasie hatte sie ihn verklärt – oder die Wahrheit über seinen Charakter schon immer erkannt, aber verdrängt. Vielleicht musste sie Peter Recht geben, der betont hatte, die Antworten würden in ihr selbst liegen.
    Ihr Vater stand auf, doch er ging nicht um den Schreibtisch herum, so wie sie es erwartet hatte, umarmte sie nicht, küsste sie nicht. So weit wie möglich hielt er sich von ihr fern, und das tat ihr weh, obwohl sie jetzt mit einem neuen Wissen gewappnet war. »Vielen Dank für deinen Besuch«, sagte er und drückte auf einen Knopf an seinem Schreibtisch. Damit gab er ihr deutlich zu verstehen, dass die Unterredung beendet war.
    Wenige Sekunden später erschien die Sekretärin und hielt ihr die Tür auf.
    »Danke«, erwiderte Gabriella. Jetzt nannte sie ihn nicht mehr Daddy. Sie versuchte auch nicht, ihn zu küssen. Welchen Sinn hätte das, überlegte sie. Der Mann, an den sie sich erinnerte, war erbärmlich genug. Und dieser hier erschien ihr noch verachtenswerter. Was immer er gewesen sein mochte – sie betrachtete ihn nicht mehr als ihren Vater. Dieser Verantwortung hatte er sich vor vierzehn Jahren entzogen. Damals war der Vater, der zu ihrem Leben gehört hatte, gestorben.
    Für einen kurzen Augenblick blieb sie auf der Schwelle stehen und musterte ihn eindringlich, um sich sein Bild einzuprägen. Dann ging sie schweigend davon. Es gab nichts mehr zu sagen, es war endgültig vorbei.
    Sobald die Sekretärin ihn allein gelassen hatte, starrte er bedrückt vor sich hin. Wie durch eine trübe Fensterscheibe schaute er in die Vergangenheit und erinnerte sich an all das Leid. Sie war ein hübsches Mädchen. Aber er empfand nichts für sie. Diese Tür hatte er vor langer Zeit geschlossen, und er würde sie nie mehr öffnen.
    Nun musste er ihren Blick vergessen, der ihn so unbarmherzig durchbohrt hatte. Er ging zur Bar und mixte sich einen steifen Martini. Das Glas in der Hand, trat er ans Fenster.

25
    W ährend John Harrison an seinem Martini nippte, steuerte seine Tochter geradewegs ein Reisebüro an der Fifth Avenue an und kaufte ein Flugticket nach San Francisco. Dabei dachte sie an das Wiedersehen mit ihrem Vater, das total anders verlaufen war als erwartet. Sie fühlte sich deprimiert und zugleich erleichtert. Immerhin wusste sie jetzt, dass sie keine Schuld an
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