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Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home

Titel: Der lange Weg nach Hause - The Long Road Home
Autoren: Danielle Steel
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der Familientragödie trug. Was sich damals ereignet hatte, hing mit charakterlichen Fehlern und seelischen Störungen ihrer Eltern zusammen.
    Welch ein herzloser, angstvoller Mann – unfähig, mit der Realität und echten Emotionen fertig zu werden ... Kein einziges Mal hatte er sie berührt. Hätte sie ihn zu umarmen versucht, wäre er sicher zurückgewichen. Er wollte ihr keinen Platz in seinem Leben zugestehen, weil sie ihn immer noch viel zu unangenehm an seine katastrophale Ehe erinnerte. Nun verstand Gabriella auch, dass er ihr damals nichts vorenthalten hatte. Er besaß einfach nichts, was er ihr zu geben vermochte. Wahrscheinlich hatte er auch ihrer Mutter nichts gegeben. In einem Punkt musste sie ihm außerdem zustimmen – inzwischen war es zu spät. In all den Jahren hatte sie sich nach ihm gesehnt, von ihm geträumt und geglaubt, sobald er wüsste, wo sie zu finden war, würde er zu ihr eilen. Doch er hatte die ganze Zeit gewusst, wo sie war, und niemals den Wunsch verspürt, sie zu sehen. Die Erkenntnis seiner mangelnden Vaterliebe tat weh, befreite sie aber auch – so als wäre er gestorben, und sie könnte seine Leiche zur Ruhe betten.
    Wieder in der Pension, erfuhr sie, Peter habe aus dem Krankenhaus angerufen. Sie wählte die Nummer der Klinik, ließ sich mit ihm verbinden und erzählte vom Treffen mit ihrem Vater.
    »Geht's Ihnen jetzt besser?«, fragte er besorgt.
    »Gewissermaßen.« Die Gefühlskälte ihres Vaters erschreckte sie zwar immer noch, andererseits war er aber auch in ihrer Kindheit nicht besonders liebevoll zu ihr gewesen – nur ein einziges Mal, in der Nacht vor seiner Flucht. »Sie hatten Recht, Peter – die Antworten verbergen sich in meiner Seele. Aber ich wusste es nicht.«
    Erleichtert atmete er auf. Gabbies Besessenheit von ihrer Vergangenheit hatte ihn zutiefst beunruhigt und die Angst geweckt, sie würde nur wieder – und noch mehr – leiden, statt die erhoffte Heimkehr zu erleben. »Was haben Sie jetzt vor?« Allzu lange durfte er nicht mit ihr telefonieren, weil er auf der Intensivstation gebraucht wurde.
    »Morgen fliege ich nach San Francisco.«
    Um ihre Mutter aufzusuchen, erriet er. Am liebsten hätte er sie begleitet. Doch das würde sie nicht zulassen. Sie wollte ihre Dämonen eigenhändig töten, mochten sie auch noch so gefährlich sein. Er bewunderte ihren Mut. »Werden Sie's schaffen – ohne Hilfe?«
    »Ich denke schon.« Wenn ihr auch vor dieser Reise bangte – sie musste das Wagnis eingehen, denn ihre Mutter war die Einzige, die ihr die richtigen Antworten geben konnte, vor allem auf die Frage: Warum hast du mich nie geliebt? Beinahe fühlte sie sich wie Alice im Wunderland, die unter Pilzen nach Antworten suchte.
    »Wenn Sie ein paar Tage warten, nehme ich mir frei und komme mit.«
    »Nein, danke – das muss ich allein erledigen. Ich rufe Sie von San Francisco aus an.«
    »Passen Sie gut auf sich auf, Gabbie.« Unwillkürlich fügte er hinzu: »Ich werde Sie vermissen.«
    »Und ich Sie.« Ein viel versprechender Dialog ... Aber zuerst musste sie die Rätsel der Vergangenheit lösen. Sonst hätte sie Peter nichts zu geben. Die Qualen und die Lieblosigkeit würden immer zwischen ihnen stehen. Niemals würde sie an ihn glauben, stets befürchten, er könnte sie ebenso verlassen wie damals ihre Eltern. Die Angst davor würde alles Glück zerstören.
    »Ja, rufen Sie mich an«, bat er und verabschiedete sich hastig, um wieder nach seinen Patienten zu sehen.
    Nachdenklich ging sie nach oben und packte ihren Koffer. So wie am letzten Abend erschien ihr das Zimmer beklemmend, voller Erinnerungen an Steve und böse Träume. In dieser Nacht fand sie keine Ruhe.
    Als sie am frühen Morgen die Pension verließ, schliefen ihre Mitbewohner noch, und sie hinterlegte eine Nachricht für Mrs Boslicki.
Ich fliege nach San Francisco und besuche meine Mutter.
    Wie nett würde das wirken, wenn es eine richtige Mutter wäre ...
    Der Flug verlief ereignislos. Nach der Landung fuhr sie mit einem Bus in die City und staunte über die kühlen Temperaturen. Seltsam – mitten im August ... An diesem nebligen Tag wehte ein kalter Wind, und ein Fahrgast erklärte ihr, dieses Wetter sei typisch für den Sommer in San Francisco. Sie ging in eine Imbissstube und aß eine Kleinigkeit, dann wählte sie die Telefonnummer, die Mutter Gregoria ihr gegeben hatte. Im selben Augenblick erkannte sie, wie leichtsinnig es gewesen war, ihren Besuch nicht von New York aus anzukündigen.
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