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Der lange Schatten

Titel: Der lange Schatten
Autoren: Alexandra von Grote
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Butangasflasche darunter, aus der mit gleichmäßigem Zischen Gas entwich. Hastig drehte er den Hahn zu.
    Durch die geöffnete Tür strömte rasch Frischluft ins Wageninnere. Das Gas verflüchtigte sich, und das Atmen fiel zunehmend leichter.
    LaBréa packte den Mann, dessen Gesicht mit einer Maske bedeckt war, am Arm. Es war eine Gasmaske. Sie wirkte furchterregend und gab dem Geiselnehmer das Aussehen eines vorsintflutlichen Ungeheuers. Er hatte auf Céline gelegen, deren Hose halb heruntergezogen war. Sie hatte die Augen geschlossen und bewegte sich nicht. Ihre Hände waren auf dem Rücken zusammengeschnürt.
    An der Kleidung des Mannes war keine Unordnung festzustellen. Bedeutete dies, dass es nicht zum Schlimmsten gekommen war? Dass er Céline noch nicht vergewaltigt hatte?
    Zwischen LaBréa und dem Maskierten entstand sofort ein Handgemenge. Der Geiselnehmer griff in die Jackentasche, offenbar um seine Waffe zu ziehen. Doch da hatte LaBréa ihn schon hochgerissen und an die Wand geknallt.
    »Übernehmen Sie ihn«, sagte er mit verzerrtem Gesicht zu Franck und Jean-Marc. Die beiden packten zu.
    Er beugte sich hastig über Céline, befreite sie von dem dreckigen Stofflappen, der in ihrem Mund steckte, und legte seine Finger an ihre Halsschlagader. Ihr Puls ging schwach und war kaum zu spüren. Er klopfte ihr kräftig auf die Wange.
    »Céline?«, rief er. »Kannst du mich hören?« Er hob ihren Oberkörper an, damit Claudine mit ihrem Klappmesser die Fesseln durchschneiden konnte.
    Jean-Marc und Franck entwaffneten den Geiselnehmer, legten ihm Handschellen an. Dann zerrte Jean-Marc ihm die Maske vom Gesicht. Sie war aus Latex. Eine Gasmaske, wie sie auch für gewisse Sexspiele genutzt wurde. Anschließend rief Jean-Marc über sein Handy einen Notarztwagen, während Franck den Mann nach draußen schaffte.
    »Wir müssen sie sofort hier rausbringen!«, sagte LaBréa zu Claudine. »Wer weiß, wie viel von dem Gas sie schon eingeatmet hat.« Vorsichtig zog er Céline die Hose hoch, nahm sie auf seine Arme und verließ den Wagen. Claudine griff nach einer der Decken, die auf der Matratze lagen, und folgte ihm.
    In LaBréas Innerem tobte ein Gefühlskampf, wie er heftiger nicht hätte sein können. In die Erleichterung, dass er Céline befreit hatte und der Geiselnehmer unschädlich gemacht worden war, mischte sich die Angst um den Zustand seiner Freundin. Er wusste, dass Butangas enorm schädlich sein konnte. Vor wenigen Monaten hatte er in einer Fachzeitschrift gelesen, dass immer mehr Jugendliche Butangas aus Feuerzeugen schnüffeln und sich dadurch einen Kick holen. In hoher Konzentration wirkte dieses Gas einschläfernd und minderte die Sauerstoffaufnahme in der Lunge. Zu viel davon einzuatmen führte zur Narkose durch Sauerstoffmangel, was Herzrhythmusstörungen und Kammerflimmern auslösen konnte. Dann drohte der Tod durch Ersticken.
    LaBréa blickte in Célines bleiches, gequältes Gesicht. Wie lange war schon Gas ausgetreten? Seit LaBréa den Bauwagen entdeckt und sich auf die Lauer gelegt hatte, mochten etwa zehn Minuten vergangen sein. Um Céline willenlos und gefügig zu machen, hatte der Geiselnehmer die Gasflasche geöffnet und sich selbst mit einer Maske geschützt. Wollte er ihren Tod durch Ersticken als Teil seines Spiels, seines ultimativen Kicks? Wartete er darauf, dass ihr Herz versagte, damit er die Leiche schänden konnte? LaBréa musste die Übelkeit unterdrücken, die in ihm aufstieg. Eines schien klar: Der Geiselnehmer hätte Céline auf keinen Fall am Leben gelassen. Falls die Lösegeldsumme doch noch rechtzeitig zur Verfügung gestanden hätte, wäre der Mann am Morgen um acht am Métrobahnhof Châtelet erschienen, um es abzuholen – doch Céline wäre da schon längst nicht mehr am Leben gewesen.
    Claudine entledigte sich eilig ihres Parkas und breitete ihn auf dem nassen Kiesbelag aus. Darüber warf sie die Decke. Vorsichtig ließ LaBréa Céline zu Boden gleiten und begann mit der Mund-zu-Mund-Beatmung. Claudine legte zwei Finger an Célines Handgelenk, um den Puls zu kontrollieren. Bange Minuten verstrichen, dann nickte Claudine.
    »Ich spüre ihren Puls, Chef!«
    Plötzlich gab Céline das erste Lebenszeichen von sich. Es war ein Laut wie bei einem gequälten und verwundeten Tier. Er schnitt LaBréa ins Herz, doch wenigstens wusste er, dass sie lebte.
    In der Ferne ertönte die Sirene eines Krankenwagens. Als er mit hohem Tempo auf das Gelände fuhr, schlug Céline gerade die Augen
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