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Der Landarzt (German Edition)

Der Landarzt (German Edition)

Titel: Der Landarzt (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Müllerburschen nach Monsieur Benassis.
    »Monsieur Benassis ist dorthin gegangen,« sagte der Müller, nach einer der zerstörten Hütten zeigend.
    »Das Dorf ist wohl abgebrannt?« fragte der Major.
    »Nein, mein Herr.«
    »Warum sieht es denn so aus?« fragte Genestas.
    »Ah! warum?« antwortete, achselzuckend und ins Haus hineingehend der Müller, Monsieur Benassis wird's Ihnen sagen.« Der Offizier ging über eine Art Brücke, die man aus großen Steinen hergestellt hatte, zwischen denen der Wildbach strömte, und kam bald zu dem bezeichneten Hause. Das Strohdach dieser Behausung war noch ganz, mit Moos bedeckt, aber ohne Löcher, und die Verschlüsse schienen in gutem Zustande zu sein. Beim Hineingehen sah Genestas Feuer im Kamin, in dessen Winkel eine alte Frau vor einem auf einem Stuhle sitzenden Kranken kniete, während ein mit dem Gesichte nach dem Feuer gewandter Mann daneben stand. Das Innere des Hauses bildete ein einziges, durch ein elendes mit Leinwand verhängtes Fenster erhelltes Zimmer. Der Boden bestand aus festgestampfter Erde. Der Stuhl, ein Tisch und eine schlechte Matratze bildeten den gesamten Hausrat. Niemals hatte der Major etwas so Einfaches noch so Kahles gesehen, nicht einmal in Rußland, wo die Hütten der Muschiks Höhlen gleichen. Hier legte nichts von den Dingen des Lebens Zeugnis ab, es befand sich dort nicht einmal das geringste für die Zubereitung der einfachsten Nahrung notwendige Gerät. Man hätte die Behausung für eine Hundehütte ohne Futternapf halten können. Wenn dort nicht die elende Matratze gelegen, ein langer, grober Leinwandkittel an einem Nagel gehangen und mit Stroh ausgelegte Holzschuhe des Kranken gestanden hätten, die einzigen Kleidungsstücke, wäre einem diese Hütte ebenso verlassen wie die anderen vorgekommen. Die kniende Frau, eine sehr betagte Bäuerin, bemühte sich des Kranken Füße in einen Kübel, der mit einem braunen Wasser angefüllt war, zu halten. Als er einen Schritt hörte, den das Geräusch der Sporen für die an den monotonen Gang der Landleute gewöhnten Ohren ungewöhnlich machte, wandte der Mann sich nach Genestas um, indem er eine gewisse Ueberraschung bekundete, die von der Alten geteilt wurde.
    »Ich habe nicht nötig,« sagte der Soldat, »zu fragen, ob Sie Monsieur Benassis sind. Einem Fremden, der ungeduldig ist, Sie zu sehen, werden Sie verzeihen, mein Herr, daß er gekommen ist, Sie auf Ihrem Schlachtfelde zu suchen, statt Sie bei sich zu Hause zu erwarten. Lassen Sie sich nicht stören, gehen Sie Ihrem Berufe nach. Wenn Sie fertig sind, will ich Ihnen den Grund meines Besuches anzeigen.«
    Genestas lehnte sich an den Rand des Tisches und bewahrte Schweigen. Das Feuer verbreitete in der Hütte eine lebhaftere Helligkeit als die der Sonne, deren durch die Bergwipfel gebrochenen Strahlen niemals in diesen Teil des Tales gelangen können. Beim Lichte dieses Feuers, das durch einige harzige Fichtenzweige, die eine leuchtende Flamme abgaben, unterhalten wurde, betrachtete der Soldat das Gesicht des Mannes, den ein heimliches Interesse ihn aufzusuchen, zu studieren und genau kennenzulernen zwang. Monsieur Benassis, der Bezirksarzt, verharrte mit gekreuzten Armen, hörte Genestas kühl an, erwiderte seinen Gruß und wandte sich wieder dem Kranken zu, ohne sich für den Gegenstand einer so ernstlichen Prüfung, wie es die des Militärs war, zu halten.
    Benassis zeigte eine Durchschnittsfigur, aber mit breiten Schultern und breitem Brustkasten. Ein weiter, bis zum Halse zugeknöpfter grüner Ueberrock hinderte den Offizier, die so charakteristischen Einzelheiten dieser Persönlichkeit oder ihrer Haltung zu bemerken; der Schatten und die Unbeweglichkeit aber, in welcher der Körper verharrte, sorgten dafür, das in diesem Augenblick durch einen Reflex der Flammen stark erhellte Gesicht hervortreten zu lassen. Das Gesicht dieses Mannes ähnelte dem eines Satyrs: die nämliche leicht geschweifte Stirn, die aber voll mehr oder minder bezeichnender Erhebungen war; die nämliche, an der Spitze geistreich gespaltene Stülpnase; die nämlichen, hervortretenden Backenknochen. Der Mund war geschwungen, die Lippen waren dick und rot. Das Kinn trat unvermittelt hervor. Die braunen Augen, durch einen lebhaften Blick, dem die perlmutterschimmernde Farbe des Weißen darin einen hohen Glanz verlieh, beseelt, sprachen von ertöteten Leidenschaften. Die einstmals schwarzen und jetzt grauen Haare, die tiefen Falten seines Gesichts und seine bereits weißen
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