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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition)
Autoren: Thea Harrison
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mehr. Ab da war man selbst der Verwundete.
    Alles wird wieder gut.
    Aber manchmal wurde es das eben nicht, Bob. Manchmal lief es so beschissen, dass man das Ergebnis nur noch in einem Leichensack nach Hause schicken konnte.
    Rune war reizbar geworden. Normalerweise war er ein sehr gelassener Wyr, aber nun fing er an, den Leuten ohne Grund den Kopf abzureißen. Zumindest metaphorisch. Immerhin hatte er noch nicht angefangen, den Leuten wirklich den Kopf abzureißen. Trotzdem gingen sie ihm allmählich aus dem Weg.
    »Was ist dir denn über die Leber gelaufen?«, hatte Aryal gefragt, als sie nach Ninianes Krönung die Grenze zwischen Adriyel und Chicago überquert hatten und auf dem Rückweg nach New York waren.
    Sie hatten sich für ihre bevorzugte Art des Reisens entschieden und flogen in Wyr-Gestalt. Aryal war seine Wächterkollegin und eine Harpyie, was bedeutete, dass sie zu neunzig Prozent der Zeit ein richtiges Biest war. Normalerweise brachte ihn ihre schnippische Art zum Lachen. In diesem Augenblick hätte sie ihn fast dazu gebracht, die Harpyie mit einem kräftigen Tritt in einen Wolkenkratzer zu rammen.
    »Marleys Geist verfolgt mich«, sagte er.
    Aryal sah ihn an, eine dunkle Augenbraue schräg in die Höhe gezogen. In ihrer Harpyiengestalt waren ihre scharfen Gesichtszüge besonders stark ausgeprägt.
    Kräftig schlugen ihre Flügel mit dem grau-schwarzen Farbverlauf auf und ab, während der heiße Sommerwind sie wild umwehte. »Welcher Geist?«, fragte die Harpyie. »Der Geist der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft?«
    Hä? Er brauchte einen Moment, um ihr zu folgen. Dann kam er auf den Bezug zu Dickens und dachte: Jacob Marley, nicht Bob. Aryal hatte die Figur Jacob Marley gemeint. Die Geister der vergangenen, der diesjährigen und der zukünftigen Weihnacht wirbelten durcheinander.
    Zeit und Zeit und Zeit. Was geschehen ist, was jetzt war und was noch kommen sollte.
    Er stieß ein bellendes Lachen aus. Es klang belegt, irgendwie milchig. »Alle drei«, sagte er. »Sie verfolgen mich alle.«
    »Gib’s auf, Alter«, sagte Aryal so mild, dass es für ihre Verhältnisse versöhnlich klang. »Ich glaub doch eh schon an Weihnachten.«
    Wie sie so neben ihm flog, wirkte die Harpyie beinahe zierlich. In seiner Wyr-Gestalt war er ein Greif mit dem Körper eines Löwen und dem Kopf und den Flügeln eines Steinadlers. Seine Pranken, groß wie Radkappen, trugen lange, gefährliche Krallen, die er ausfahren und einziehen konnte. Die Augen in seinem Adlerkopf waren die eines Löwen, sein katzenhafter Körper hatte eine breite, kräftige Brust und schlanke, starke Schenkel, und er besaß die graubraune Färbung einer heißen Wüstengegend. Seine Wyr-Gestalt war gewaltig, gut und gern so groß wie ein SUV , und auch die Spannweite seiner Flügel war dementsprechend enorm.
    Als Mensch war Rune eins dreiundneunzig groß und hatte die breiten Schultern und die schlanken, festen Muskeln eines Schwertkämpfers. Er hatte glatte, sonnengebräunte Haut und Lachfältchen um seine Löwenaugen, die wie Bernstein im Sonnenlicht leuchteten. Seine ebenmäßigen Gesichtszüge und das strahlende Lächeln waren insbesondere beim weiblichen Geschlecht äußerst beliebt, und in seiner sonnengebleichten Mähne, die ihm bis auf die breiten Schultern fiel, schimmerten Funken von blassem Gold, Kastanie und blankem Kupfer.
    Er war einer von vier Greifen, die es auf der Welt gab und die im alten Indien und Persien verehrt worden waren. Er war ein unsterblicher Wyr, entstanden bei der Geburt der Erde selbst. Als sich die Erde formte, hatten Zeit und Raum Falten geworfen. In diesen Falten entstanden Dimensionsnischen von Anderland, in denen sich Magie ansammelte, die Zeit anders lief, moderne Verbrennungstechnologie nicht funktionierte und die Sonne in einem anderen Licht schien. Was später als die Alten Völker bekannt wurde, die Wyr und Elfen, die Hellen und Dunklen Fae, die Nachtwesen, Dämonen, menschlichen Hexen und all die anderen Arten monströser Kreaturen, neigte dazu, sich in der Nähe von Anderländern zusammenzufinden.
    Die meisten Geschöpfe der Alten Völker waren entweder auf der Erde oder in den Dimensionsnischen von Anderland entstanden. Einige wenige – sehr wenige – begannen ihre Existenz an den Übergangspunkten zwischen diesen Orten, wo Zeit und Raum nicht fest umrissen und wandelbar waren, und bei der Entstehung der Welt war die magische Energie eine ungeformte, unermessliche Kraft gewesen.
    Rune und die
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