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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis
Autoren: Brigitte Riebe
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er ständig herumfingerte. Man hätte sie ohne Weiteres für Onkel und Neffe halten können, die sich in der Schenke Zum Graureiher ein paar entspannte Stunden gönnten.

    »Wollt ihr vielleicht auch etwas zu essen bestellen?«, fragte Miu. Das war das Erstbeste, was ihr einfiel, um sich noch länger in der Nähe der beiden Männer aufzuhalten.
    Kopfschütteln. Die Männer sahen sich an. Das Mädchen konnte deren Anspannung fast körperlich spüren.
    Irgendetwas trieb Miu zum Weiterreden. »Für Tante Tahebs berühmten Gänsebraten kommen die Gäste sogar von weit her. Sie legt das Fleisch über Nacht in Honig und Kräuter ein und röstet es anschließend auf dem Grill, so kross, dass…«
    »Verzieh dich, Kleine!« Die Stimme des Älteren war schneidend. »Wir haben alles, was wir brauchen.«
    Widerstrebend setzten ihre Füße sich in Bewegung. Sie ging, als wäre der Boden klebrig.
    »Du kannst mir ruhig vertrauen«, hörte sie nun hinter ihrem Rücken. »Den ersten Schlag hat er bereits einstecken müssen. Und was den zweiten betrifft, so verläuft alles nach Plan. Niemand schöpft bislang auch nur den geringsten Verdacht …«
    »Was ist mit dir, Miu?« Tante Taheb musterte sie besorgt. »Du bist ja auf einmal ganz grün um die Nase! Hast du etwa wieder unreife Feigen genascht?«
    Niemand konnte so dreinschauen wie Taheb, vorwitzig und treuherzig zugleich. Miu öffnete den Mund, um ihr das Herz auszuschütten, schloss ihn allerdings sehr schnell wieder.
    So einfach lagen die Dinge in der Familie nun mal nicht.
    Genau genommen war Taheb gar nicht ihre richtige Tante, sondern die Cousine ihrer Mutter, die sie vor neun Jahren verloren hatte. Außerdem sah Papa es nicht gern,
wenn sie im Graureiher aushalf, weil er sich seit einiger Zeit nicht mehr besonders mit Nefer verstand, Tahebs Mann, der, wie Miu aus Erzählungen wusste, früher als Schreiber und Vorlesepriester einen ungleich höheren Rang bekleidet haben musste.
    »Hast du auf einmal deine Zunge verschluckt?«, sagte Taheb stirnrunzelnd.
    Aus den Augenwinkeln sah das Mädchen, wie der Ältere ein abgeschabtes Kupferstück auf den Tisch legte. Beide schoben ihre Hocker nach hinten. Wenn sie jetzt nicht blitzschnell reagierte, würde sie womöglich gar nichts mehr über den perfiden Plan erfahren, den die beiden Männer offenbar ausheckten.
    Miu verzog das Gesicht und presste sich beide Hände auf den Bauch, als ob ihr plötzlich übel geworden wäre.
    »Dann sieh zu, dass du nach Hause kommst«, lenkte Taheb ein. »Und werd endlich vernünftig. Du bist schließlich alt genug, um zu wissen, dass eine Bedienung, die in der Mittagszeit schlappmacht, für ein Lokal die reinste Katastrophe ist!«
    Sie zeterte noch ein wenig weiter, aber Miu nahm es ihr nicht krumm. Wer Taheb kannte, wusste, dass ihre schlechte Laune so schnell verfliegen würde wie ein Schwarm Ibisse, der sich aus dem Schilf erhebt.
    Miu lief den beiden Männern hinterher. Schon nach ein paar Schritten fluchte sie halblaut, denn sie war auf eine gezackte Tonscherbe getreten. Im Graureiher verkehrten viele Schiffer, die nach der Zeche ihre Becher draußen achtlos wegwarfen. Flussgesindel, so nannte Taheb sie, während der sonst so penible Nefer sich in ihrer Gegenwart seltsamerweise wohlzufühlen schien.

    Die scharfe Scherbe hatte ihre Sohle geritzt, es brannte, und Miu entdeckte ein paar Tropfen Blut, die sie mit dem Kleidersaum abwischte. Zum Glück ließ der Schmerz rasch nach. Dennoch leistete sie innerlich Abbitte bei ihrem Vater. Er konnte es nicht leiden, wenn sie barfuß herumlief wie ein Bauernmädchen, wo er ihr doch neue Binsensandalen geschenkt hatte. Sie gab sich alle Mühe, ab jetzt auf beides gleichzeitig zu achten: die zwei Männer vor ihr und den staubigen Boden unter ihren Füßen.
    Schemu, die Erntezeit, neigte sich dem Ende zu, und ganz Kemet wartete inbrünstig auf die Flut. Niemals waren die Fliegen lästiger als in diesen unendlichen Sommerwochen, bevor die Tränen der Göttin Isis* den Nil endlich über seine Ufer treten lassen und dem ganzen Land Leben und Fruchtbarkeit zurückgeben würden. Heute schienen diese Plagegeister es ganz besonders auf Miu abgesehen zu haben. Wild wedelnd gegen die Attacken ankämpfend, bewegte sie sich vorwärts, hielt sich jedoch, um bloß keinen Verdacht zu erregen, stets ein ganzes Stück hinter den Männern.
    Sie trennten sich schon nach Kurzem an einer Weggabelung.
    Wem von beiden sollte sie sich nun an die Fersen heften?
    Der
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