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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis
Autoren: Brigitte Riebe
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Ochsenkarren, der den Älteren mitnahm, enthob sie einer Entscheidung. Jetzt also schlich sie dem Warzenkerl hinterher, der selber noch unschlüssig schien, wohin der Weg ihn führen sollte, denn er blieb zwischendrin stehen, kratzte sich am Schädel und schien zu überlegen. Schließlich wandte er seine Schritte zum Markt, was Miu nur recht sein konnte, denn im mittäglichen Gewimmel von Händlern
und Käufern würde es um einiges leichter für sie sein, ihm unauffällig zu folgen. Plötzlich schien er es gar nicht mehr besonders eilig zu haben, sondern schlenderte von Stand zu Stand, ließ sich einen Mandelkuchen geben, den er genüsslich verschlang, und schlug danach auch den aufgebrochenen Granatapfel nicht aus, den eine lachende Bauersfrau ihm entgegenhielt. Als der Saft seinen Mund rot färbte, sah er aus wie ein Spitzbube, der heimlich in der Speisekammer nascht, und plötzlich begann Miu zu zweifeln.
    Wenn sie sich doch getäuscht hatte?
    Denn eigentlich konnte doch gar nicht wahr sein, was Miu in Tahebs Schenke zufällig gehört hatte - dass jemand einen Anschlag gegen Tutanchamun* plante, den göttlichen Pharao*!
    Ein sirrendes Geräusch, das beide zusammenzucken ließ.
    Es war lediglich ein Händler gewesen, der ein geflochtenes Seil geschickt durch die Luft tanzen ließ, um Käufer anzulocken. Doch der junge Mann, dem sie folgte, war zutiefst erschrocken. Sein Gesicht wirkte plötzlich angespannt, er sah sich nach allen Seiten um.
    Instinktiv hatte Miu sich gebückt, als hätte sie etwas auf dem Boden verloren. Dabei zog sie sich das bunte Band aus dem Haar, mit dem Großmama Raia ihre Mähne jeden Morgen im Nacken bändigte, und schob es mit dem Fuß beiseite. Als sie sich wieder erhob, unterschied sie sich in nichts mehr von den meisten anderen hier: ein Mädchen in einem nicht mehr ganz sauberen Kleid, das trotz aller Ermahnungen meist ein wenig krumm ging.
    Er spazierte weiter, bis zum Ende des Platzes, und plötzlich wurde Miu klar, zu welchem Stand er wollte.

    Ihre Aufregung wuchs.
    Der Schlangenbeschwörer hatte seine Flöte sinken lassen. Die Kobra, nicht länger von seinem Gefuchtel gebannt, kringelte sich in ihrem Korb ein, den er rasch verschloss, als drohe Gefahr. Reine Schau, wie sie wusste, denn diesen Tieren waren die Giftzähne gezogen worden, eine schmerzhafte Prozedur, die sie manchmal sogar das Leben kostete.
    Der junge Mann beugte sich über die Körbe.
    Miu sah, wie der Schlangenbeschwörer einen festen Lederhandschuh überstreifte, bevor er einen anderen Deckel öffnete und wilde Gesten folgen ließ. Augenblicklich schoss eine Schlange aus den geflochtenen Binsen, den Kopf hoch erhoben, den Hals gespreizt. Um den Hals trug sie ein breites, schwarzes Schuppenband, das sich von dem rötlichen Körper abhob.
    Jetzt wich der Warzenkerl schnell zurück.
    »Da tust du gut daran.« Der Schlangenbeschwörer grinste. »Denn bei ihr ist alles intakt. Man muss sie übrigens ordentlich aushungern, dann sind diese Kobras unschlagbar - wie dieses Schätzchen hier, das nach Beute giert.« Sein Handschuh drückte die Schlange wieder in den Korb zurück. »Hast du genug gesehen?«
    Der andere nickte. »Ich komme wieder«, sagte er. »Wie vereinbart.«
    Miu vertiefte sich scheinbar in ein reichhaltiges Angebot bemalter Töpfe, das nebenan auf einer Decke ausgebreitet war. Der junge Mann eilte an ihr vorbei und verließ den Markt. Er ging in Richtung Fluss und strebte der Anlegestelle der Fähre zu, die hinüber zum Westufer führte!
    Jetzt begann die Angelegenheit brenzlig zu werden, denn
dort drüben begann das Reich des Anubis*. Jenseits des Nils lagen nicht nur das Tal der Könige* und das Dorf der Nekropolenarbeiter, sondern auch die Arbeitshallen und Geschäftsräume ihres Vaters, der als Balsamierer die Menschen für ihre letzte Reise rüstete. Es war Miu nicht ausdrücklich untersagt, ihn dort aufzusuchen, aber sie wusste dennoch, wie sehr es ihm gegen den Strich ging, sollte sie unangemeldet auftauchen. Vermutlich würde Papa dann über kurz oder lang wieder damit anfangen, dass man sie verheiraten müsse, damit er die Verantwortung los sei und endlich ein anderer auf sie aufpasste, was dann wieder tagelang die Stimmung zwischen ihnen vergiften würde. Außerdem gab es dort in den Arbeitshallen ihres Vaters jemand ganz Bestimmtes, dem sie vorerst besser nicht unter die Augen kam, um seine Fantasien nicht noch weiter anzustacheln.
    Zögernd betrat sie die schwach besetzte Fähre.
    Was, wenn
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