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Der krumme Hund

Der krumme Hund

Titel: Der krumme Hund
Autoren: Roald Dahl
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wobei er zuerst mich, dann Claud anschaute.
    «Hier ist alles gesund.»
    «Ganz sicher?»
    «Doch, sicher.»
    «Man kann das nämlich nie wissen. Wochenlang kann man immer mehr kränkeln, ohne es zu merken. Dann auf einmal - wumm! - und es hat einen erwischt. Deshalb nimmt es ja Dr. Arbuthnot so genau. Deshalb hat er mich sogleich hergeschickt. Damit sich keine Krankheiten ausbreiten.»
    Er trat jetzt als Vertreter des Gesundheitsamtes auf. Ein höchst wichtiger Ratz war er jetzt, und schwer enttäuscht, daß wir nicht wenigstens an Beulenpest darniederlagen.
    «Mir fehlt nichts», erklärte Claud betreten.
    Der Rattenfänger sah ihm nochmals forschend ins Gesicht, ohne etwas zu sagen.
    «Und wie wollen Sie sie im Heustock fangen?»
    Der Mann schmunzelte, langte in seinen Rucksack und holte eine große Dose heraus, die er sich auf Augenhöhe vors Gesicht hielt. Listig guckte er seitlich daran vorbei.
    «Gift!» sagte er leise. So wie er das Wort aussprach, klang es höchst gefährlich. «Ein tödliches Gift ist das.» Er wog die Dose in der Hand, während er sprach. «Genug, um Abertausende von Menschen umzubringen.»
    «Furchtbar», bemerkte Claud.
    «Allerdings. Sie, junger Mann, würden sechs Monate eingesteckt, wenn man Sie auch nur mit einem Löffelvoll davon ertappte.» Er befeuchtete sich die Lippen. Wenn er sprach, reckte er den Hals nach vorn.
    «Wollen Sie sehen?» fragte er und holte eine Kupfermünze aus der Tasche, mit der er den Deckel aufklemmte. «Da! Das ist es.» Fast liebevoll sprach er von dem Zeug und hielt es Claud hin.
    «Mais? Oder ist es Gerste?»
    «Hafer. Mit tödlichem Gift getränkt. Nehmen Sie auch nur ein Körnchen in den Mund, und in fünf Minuten sind Sie eine Leiche.»
    «Tatsächlich?»
    »Jawohl. Die lasse ich nie aus den Augen, die Dose.»
    Er streichelte sie und rüttelte ein bißchen daran, daß der Inhalt leise raschelte.
    «Aber heute nicht. Ihre Ratten kriegen das heute noch nicht. Sie würden es sowieso nicht nehmen. Bestimmt nicht. Ratten sind mißtrauisch. Höchst mißtrauisch. Heute kriegen sie deshalb guten, unverfälschten Hafer, der ihnen nichts anhaben kann. Höchstens daß sie davon fett werden. Und morgen nochmals dasselbe. Das schmeckt ihnen so gut, daß es in ein paar Tagen die Ratten aus der ganzen Gegend herbeilockt.»
    «Sehr schlau.»
    «Schlau muß man sein. Schlauer als eine Ratte, und das will etwas heißen.»
    «Eigentlich muß man fast selber eine Ratte sein», sagte ich. Es entfuhr mir, ehe ich mich dessen versah, und ich konnte auch nichts dafür, weil ich den Mann dabei vor Augen hatte. Doch die Wirkung auf ihn war erstaunlich.
    «Na also!» rief er. «Jetzt haben Sie's erfaßt! Eine treffende Bemerkung! Ein guter Rattenfänger muß mehr wie eine Ratte sein als irgend etwas anderes. Schlauer als eine Ratte, und das ist keine Kleinigkeit, kann ich Ihnen sagen.»

    «Da haben Sie recht.»
    «Also, gehen wir. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, wissen Sie. Lady Leonora Benson verlangt mich dringend in ihr Haus dort oben am Berg.»
    «Hat sie auch Ratten?»
    «Jedermann hat Ratten», erklärte der Rattenfänger und zuckelte die Zufahrt hinunter, über die Straße und zum Heustock hinüber, während wir ihm nachschauten. Sein Gang war erstaunlich wie der einer Ratte - dieses langsame, fast zarte Zuckeln mit lockeren Knien und ohne jedes Geräusch auf dem Kies. Behend setzte er über das Gatter und in die Wiese hinüber, wo er rund um den Heustock ging und dabei Hafer verstreute.
    Am nächsten Tag kam er wieder und wiederholte das Ganze.
    Als er am übernächsten Tag wiederkam, legte er den vergifteten Hafer aus. Diesen streute er nicht einfach hin; er verteilte ihn sorgfältig in kleinen Häufchen an den vier Ecken des Heustocks.
    «Haben Sie einen Hund?» fragte er, als er wieder über die Straße kam, nachdem er das Gift verteilt hatte.
    Ich bejahte.
    «Wenn Sie Ihren Hund qualvoll krepieren sehen wollen, dann brauchen Sie ihn bloß auf die Wiese hinüber zu lassen.»
    «Wir passen schon auf», versicherte Claud, «nur keine Bange.»
    Am nächsten Tag kam er nochmals vorbei, um die Kadaver einzusammeln.
    «Haben Sie einen alten Sack?» fragte er. «Wahrscheinlich brauchen wir einen Sack, um sie wegzuschaffen.»
    Er tat sehr wichtig, und seine schwarzen Augen funkelten vor Stolz, war er doch im Begriff, uns das umwerfende Ergebnis seiner Kunst vorzuführen.
    Claud holte einen Sack, und zu dritt begaben wir uns über die Straße, wobei der Rattenfänger
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