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Der krumme Hund

Der krumme Hund

Titel: Der krumme Hund
Autoren: Roald Dahl
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Claud.
    Claud legte einen Shilling vorne auf die Haube. Der Rattenfänger kramte zwei Sixpencestücke hervor und schob sie neben Clauds Shilling. Als er dabei die Hand ausstreckte, zuckte die Ratte zusammen, zog den Kopf ein und machte sich klein.
    «Die Wette gilt», erklärte der Rattenfänger.
    Claud und ich traten ein paar Schritte zurück; der andere trat vor. Er steckte die Hände in die Taschen und beugte den Oberkörper gegen die Ratte, so daß sein Gesicht auf gleicher Höhe mit ihr war, ungefähr einen Meter entfernt.
    Sein Blick begegnete dem der Ratte und hielt ihn fest. Gespannt kauerte das Tier da; es witterte äußerste Gefahr, war aber noch nicht verängstigt. So wie es sich hinkauerte, hatte ich den Eindruck, es schicke sich an, dem Mann ins Gesicht zu springen; doch etwas im Blick des Rattenfängers hielt es offenbar davon ab, schüchterte es ein und versetzte es dann allmählich in eine solche Angst, daß es zurückzuweichen begann, langsam, mit eingeknickten Beinen, bis die Schnur an seinem Hinterbein sich straffte. Durch ruckartige Bewegungen suchte es sich davon zu befreien, um noch weiter von dem Mann wegzukommen. Dieser beugte sich gegen die Ratte hin und wandte keinen Blick von ihr, worauf sie, von panischem Schreck ergriffen, plötzlich einen Satz seitwärts in die Luft machte. Der Ruck, mit dem die Schnur sie zurückschnellte, muß ihr fast das Bein ausgerenkt haben.
    Sie kauerte sich wieder hin, mitten auf der Motorhaube, so weit weg, als die Schnur es zuließ, und zwar angstvoll gespannt, mit bebenden Schnurrbarthaaren.
    Nun begann der Rattenfänger wieder, sein Gesicht näher heranzurücken. Ganz langsam, so langsam, daß eigentlich gar keine Bewegung zu sehen war, nur daß jedesmal, wenn man hinschaute, sein Gesicht wieder ein Stück näher an der Ratte war. Dabei wandte er kein Auge von ihr. Die Spannung war beträchtlich, und ich verspürte plötzlich das Bedürfnis, ihm zuzuschreien, er solle aufhören. Es schlug mir auf den Magen, aber ich brachte keinen Laut heraus. Etwas höchst Unerquickliches stand uns bevor, davon war ich überzeugt. Etwas Unheilvolles und Grausames und Rattenhaftes, das mir vielleicht den Magen vollends umkehrte. Aber sehen mußte ich es jetzt.
    Das Gesicht des Rattenfängers war noch etwa fünfundvierzig Zentimeter von der Ratte entfernt. Dreißig Zentimeter. Dann fünfundzwanzig, und bald betrug der Abstand nicht viel mehr als eine Handbreit. Die Ratte drückte sich flach an die Motorhaube, gespannt und voller Angst. Auch der Rattenfänger war angespannt, aber mit einer gefährlichen, aktiven Spannung, wie eine dicht aufgezogene Sprungfeder. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Dann stieß er plötzlich zu.
    Er stieß zu, wie eine Schlange zustößt, indem er den Kopf mit einer messerscharfen Bewegung nach vorne schnellte, die vom ganzen Körper ausging, und ich sah gerade noch, wie er den Mund mit den beiden gelben Zähnen weit aufsperrte und wie sich sein Gesicht dabei vor Anstrengung verzerrte.

    Mehr begehrte ich nicht zu sehen. Ich schloß die Augen, und als ich sie wieder aufmachte, war die Ratte tot, und der Rattenfänger strich das Geld ein und spuckte aus.
    «Das ist es, woraus man Schleckzeug macht», bemerkte er. «Rattenblut ist, was die großen Konfitürenfabriken verwenden, um Schleckzeug herzustellen.»
    Wiederum kostete er jedes Wort aus; wie dicker Sirup troff das Wort «Schleckzeug» von seinen Lippen.
    «Nein», sagte er, «gegen einen Tropfen Rattenblut ist nichts einzuwenden.»
    «Reden Sie doch nicht so widerlich daher», ereiferte sich Claud.
    «Ja, das ist eben so. Sie haben es schon oft gegessen. Türkenhonig und Bärendreck, das wird alles aus Rattenblut gemacht.»
    «Verschonen Sie uns damit.»
    «In großen Kesseln wird es aufgekocht und mit Stangen umgerührt. Das ist eines der Geheimnisse der Konfitürenfabriken, und niemand ahnt etwas davon, außer denen, die das Zeug liefern.»
    Plötzlich bemerkte er, daß er die Zuhörer gegen sich hatte, daß wir feindselige, angewiderte und erboste Mienen machten. So brach er denn jäh ab, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und entfernte sich die Zufahrt hinunter und auf die Straße hinaus, mit dem bedächtigen, zuckelnden Gang, der an eine herumstreichende Ratte gemahnte, völlig lautlos, selbst auf dem Kies.

RUMMINS
    Die Sonne stand über den Hügeln, der Nebel hatte sich verzogen, und Claud fand es herrlich, mit dem Hund am Vormittag die Landstraße entlangzuziehen, jetzt im Herbst,
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