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Der Krieger und der Prinz

Der Krieger und der Prinz

Titel: Der Krieger und der Prinz
Autoren: Merciel Liane
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nach Euren Talenten.«
    »Cailan«, schlug Brys vor. »Ich dachte ohnehin daran, dort hinzugehen, sobald diese Angelegenheit erledigt ist.«
    »Das wäre hervorragend«, stimmte Leferic zu. Dann drehte er sich wieder zu dem Mädchen um. »Ich werde dich morgen früh sehen. Studiere deine Geschichte gut ein. Und wenn wir einander richtig vorgestellt werden, könntest du vielleicht damit beginnen, dass du mir deinen Namen nennst.« Er vollführte zum Abschied eine letzte Verbeugung und ließ sie im Krankenzimmer zurück, während in ihren Augen mehr leuchtete als Tränen.
    Draußen lag die nächtliche Temperatur weit unter dem Gefrierpunkt, aber Leferic bemerkte es kaum. Erregung hüllte ihn in eine Wärme, die kein Wind durchdringen konnte. Er durchquerte den Innenhof, ohne die Pflastersteine unter den dünn besohlten Stiefeln zu spüren oder den Dung von den nahen Ställen zu riechen. Einzig das ferne Funkeln der Sterne und ein dünner Ring aus Fackeln beleuchtete seinen Weg über die vereisten Steine, aber er war noch nie im Leben so trittsicher gewesen. Er dankte Celestia für ihre Barmherzigkeit, dem Bauernmädchen für seine naive Aufrichtigkeit und Albrics Schatten für seinen Mut.
    Dann ging er in seine Bibliothek hinauf, um seinen Einsatz in diesem Spiel zu machen.
    Während der restlichen Nacht schrieb Leferic Briefe, bis seine tintenbefleckten Finger sich um die Feder verkrampften und die Worte ineinanderflossen und in seinen Augen brannten. Er schrieb an König Raharic, bestätigte die Ankunft des Herolds und erklärte seine Absicht, sich an den von Langmyr vorgeschlagenen Frieden zu halten, da der Verrat seines Lehnsmannes jetzt entdeckt war und einer der überlebenden Ritter seines Bruders das Baby Wistan sicher bei ihm abgeliefert hatte. Er schrieb die gleiche Nachricht an die Lords von Mauerbruch und Schwarzast und an all die anderen Burgen Eichenharns, sowohl an der Grenze als auch tief in den Kernländern.
    Zuletzt und mit der größten Sorgfalt schrieb er an Marityas Eltern in Seewacht. An Reinbern und Alta de Marst, deren Namen ein Synonym für Wohlstand in einem Reich waren, in dem Kaufleute Prinzen wie Bettler aussehen ließen. Leferic formulierte höfliche Bekundungen der Trauer, dann der Pietät, dann der Freude: Denn, so teilte er ihnen mit, durch die unendliche Huld der Strahlenden war ihr Enkelsohn gerettet worden. Er lud sie ein, zu Wistans erstem Geburtstag herzukommen, und versprach, bei dieser Feier das Kind offiziell zu seinem Erben zu erklären.
    Nachdem er den letzten Brief versiegelt und ihn für die Morgenboten beiseitegelegt hatte, war schon fast der Tag angebrochen. Blaue Schatten stahlen sich an den Vorsprüngen der Fenster entlang; der Himmel hinter ihrem dicken Glas verblasste. Leferic rieb sich die brennenden Augen und streckte sich, um den Schmerz in seinem Rücken zu lindern. Seit Galefrids Totenwache hatte er keinen Sonnenaufgang mehr gesehen.
    Leferic stellte sich vor das größte und klarste seiner Bibliotheksfenster und sah zu, wie die Nacht verebbte. Die Morgendämmerung kam langsam herein, denn die Sonne stand hinter einem Schleier aus Wolken, der ihr Licht zu langen Bändern aus Amethyst und grau perlendem Gold formte. Der Himmel hellte sich von Schwarz zu einem tiefen, leuchtenden Blau auf, das Saphire beschämt hätte. Nicht länger dunkel, aber auch noch nicht gänzlich hell, versprach das umwölkte Leuchten des frühen Morgens einen angenehmen Tag.
    Leferic sah die Morgendämmerung in seine Winterburg kommen, dann rief er seine Boten, um sein Versprechen einzulösen.

Epilog
    Die Drosseln kehrten in diesem Jahr früh zurück.
    Das gemeine Volk sah darin ein gutes Omen. Es bedeutete, dass der Frühling mild, der Sommer lang und fruchtbar sein und der Herbst eine reiche Ernte bringen würde. Um die Burgstadt herum machten die Menschen sich ein Spiel daraus, durch den Wald zu schlendern und dem flötengleichen Lied der Drosseln zu lauschen, das sich unentwegt wiederholte. Die letzten schmutzig braunen Schneekrusten, gesprenkelt von Regentropfen, klammerten sich noch an das Land, aber die Menschen redeten und lachten, als blühe bereits an jedem Zweig der Frühling.
    Odosse freute sich darauf, sich ihnen anzuschließen. Sie kannte die Legende von den Drosseln nicht; in Weidenfeld hatten sie in diesem Vogel nie den Herold des Frühlings gesehen. Aber selbst wenn kein Körnchen Wahrheit in der Legende steckte, dachte sie, dass in diesem Jahr die Ernte eine bessere Chance
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