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Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Der Krieg, der viele Vaeter gatte

Titel: Der Krieg, der viele Vaeter gatte
Autoren: Gerd Schultze-Rhonhof
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Interessenausgleich mit den bisherigen Seemächten Nummer zwei und drei, mit Frankreich und mit Rußland. Es gibt – wie schon beschrieben – mit beiden Ländern einen Abgleich ihrer kolonialen Interessen und 1904 die Entente mit den Franzosen und 1907 den englisch-russischen Vertrag. So ist Deutschland ab 1907 von einer „Triple-Entente" Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands einge

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    MGFA, Marine, Seite 224 15
    MGFA, Marine; Seiten 263 ff
    kreist, die sich 1914 nach dem Mord von Sarajewo auf geschickte Weise Ball nach Ball zuspielt. Damit ist der Warnschuß von Deutschlands Flottenpolitik nach hinten losgegangen.

    Die deutsche Geschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg sieht im deutschen Flottenrüsten einen großen Teil der Schuld des Kaisers und des Admirals von Tirpitz am Kriegsausbruch des Ersten Weltkriegs. Deutschland – so die Begründung – habe Großbritannien mit seinem Flottenbau zu diesem Krieg herausgefordert. Hier folgen deutsche Wissenschaftler den Argumenten der Sieger von 1918. Die wirklichen Herausforderungen der Vorkriegsjahre heißen aber deutsche Wissenschaft und Technologie, Wirtschaftswachstum und Konkurrenz auf allen Märkten. Der deutsche Flottenbau dagegen ist keine ernste Konkurrenz für England, auch wenn er den Briten Schwierigkeiten macht.

    Der Bau der Tirpitz-Flotte mit den vier Zielen: Schutz der deutschen Fischerei und Schutz des Handels, Brechen von Blockaden und Bündnisfähigkeit mit Großbritannien, ist dennoch legitim gewesen, doch angesichts des Gegenspielers England unklug. Der Flottenbau auf Deutschlands Werften hat für die Eliten in Großbritanniens Wirtschaft, Politik und Militär Symbolkraft. Er zeigt unübersehbar – was die Eliten vorher längst begriffen haben –, daß Deutschland nun freie Konkurrenz und gleiche Rechte auf dem Erdball fordert.

    Zu einer echten Seemacht gehören außer einer Flotte auch strategisch-geographische Positionen, von denen aus die Flotte wirken kann. Großbritannien besitzt selbst ein Stück Atlantikküste und hat ansonsten weltweit Auslandsstützpunkte zwischen Sydney und Gibraltar. Es kann von dort aus eine Marine fuhren und versorgen. Es kann von da aus seine Handelsflotte schützen und anderen Ländern ihre Handelsrouten sperren. Dieser zweite Faktor, der erst aus einer Flotte eine Seemacht werden läßt, fehlt Deutschland völlig. Das Deutsche Reich sitzt seestrategisch in der Nordsee fest. Der Aus- und Zugang von und zu den deutschen Marinehäfen Kiel und Wilhelmshaven kann jederzeit durch eine „enge Blockade" in der Nordsee, eine „weite Blockade" an den Nordseeausgängen oder eine „strategische Blockade" auf dem Atlantik abgeschnitten werden. Wenn Deutschland Großbritannien auf den Meeren hätte gefährlich werden wollen, hätte es eine Atlantikflotte von der Größe der Royal Navy bauen und Häfen an der Atlantikküste haben müssen. Dies haben weder Kaiser Wilhelm II. noch die Reichsregierung noch von Tirpitz jemals angestrebt. Die „Risiko-Flotte" ist für die Seeschlacht in der Nordsee konzipiert und nicht für einen Krieg um Englands Kolonialreich. Darin liegt von Tirpitz' Fehler, denn seine Flotte kann Großbritannien im Ersten Weltkrieg niemals wirklich schaden. Das alles wissen Englands Seestrategen, und trotzdem beharren die britische Regierung und der König vor dem Ersten Weltkrieg darauf, daß Deutschland Großbritannien bedroht.

    Die Bedrohungstheorie hat eine zweite schwache Seite, und das wird in der Gesamtschau aller Flotten sichtbar. Schon vor Beginn des ersten deutschen Flotten bauprogramms beginnen England, Rußland, Frankreich, Japan und die USA, ihre Flotten aufzurüsten. So findet Deutschlands Flottenausbau im Rahmen eines internationalen Rüstungswettlaufs statt. Die Zunahme deutscher Schiffe relativiert sich dadurch fortlaufend durch die Parallelentwicklung der anderen Marinen. Deutschlands Flotte muß sich also stets im Kontext mit den Flotten jener Staaten sehen, die sich vertraglich gegen das Deutsche Reich verbündet haben. 1914 stehen Deutschlands 45 Schlachtschiffen 150 Schiffe in den Flotten Rußlands, Englands und Frankreichs gegenüber. Seit 1907 baut Rußland außerdem die Ostseeflotte aus und bindet Teile der deutschen Marine, die dadurch nicht mehr gegen England zur Verfügung stehen. Und Frankreich übernimmt ab 1912 die Sicherung des Mittelmeeres für England und setzt damit die britische Mittelmeerflotte für den Einsatz in der Nordsee frei. Auch von daher ist der
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