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Der Kranich (German Edition)

Der Kranich (German Edition)

Titel: Der Kranich (German Edition)
Autoren: Manuela Reizel
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er so? Ist er nett?“
    „Nicht dein Typ.“
    Für einen Moment schien sie betrübt, doch so leicht gab sie sich nicht geschlagen. „Was machst du da?“
    Vielleicht hätte ich sie komplett ignorieren sollen, wie Dr. Elvert es mir empfohlen hatte, hätte einfach nicht auf ihre penetrante Fragerei eingehen sollen, doch aus irgendeinem Grund tat ich es nicht. „Das siehst du doch. Ich schreibe ein Programm. Und wenn du aufhörst, mich ständig zu stören, werde ich vielleicht auch irgendwann mal damit fertig.“
    „Wozu ist es gut, dein Programm?“
    Jetzt sah ich zu ihr hinüber. Ich blickte direkt in ihre braunen Augen, und fast hatte ich das Gefühl, durch sie hindurchzusehen. „Dieses Programm wird die gesamte IT-Branche revolutionieren. Um nicht zu sagen: die Geschichte der Menschheit.“
    Ein amüsiertes Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. „Ein bisschen größenwahnsinnig bist du aber nicht, oder? Und womit genau willst du die Menschheit revolutionieren, wenn man fragen darf?“
    „Mit
NORT
.“
    Natürlich war sie mit dieser Antwort alles andere als zufrieden, doch ich beabsichtigte nicht, zu diesem Zeitpunkt weiter auf sie einzugehen, und vertiefte mich wieder in das, womit ich seit Monaten nahezu meine gesamte Zeit verbrachte: die Programmierung der innersten Rekursionsschleife in meinem Quine.
    Ich war fast am Ziel.
    In Echterdingen öffnete Eva angesichts des nervtötenden Piepens widerstrebend die Augen, griff zum Nachttisch und stellte den Wecker ab. Einen Moment lang war sie versucht, noch einmal einzuschlafen – nur ein Viertelstündchen noch! – doch quälende Gedanken ließen es nicht zu. Vertragsrecht am Montagmorgen. Nur ein verdammter Zyniker konnte sich das ausgedacht haben. Aber Professor Köberle war wichtig. Und er legte äußersten Wert auf Pünktlichkeit. Wenn sie es sich mit ihm verdarb, weil sie zu spät zur Aufsichtsarbeit kam, konnte sie das ihre Zwischenprüfung kosten, gleichgültig, ob sie die Materie aus dem FF beherrschte.
    Fröstelnd kroch sie unter der Decke hervor, warf einen Bademantel über den Pyjama und verließ ihr Zimmer. Aus der Küche drang gedämpfte Musik, und als Eva die Tür öffnete, sah ihre Mutter überrascht von der Zeitung auf.
    „Guten Morgen, Süße, so früh schon auf?“
    „Wenn ich eine Wohnung in Tübingen hätte wie Anke, dann könnte ich natürlich noch fast eine Stunde schlafen“, rutschte es ihr heraus, doch im selben Augenblick tat es ihr leid. Ihre Mutter hatte genug getan, um ihr das Studium zu ermöglichen, für mehr reichte es einfach nicht. Versöhnlich schlang sie die Arme um ihren Hals und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Tut mir leid, Mama. Ich hab’s nicht so gemeint.“
    Eva wusste, dass ihre Mutter sie über alles liebte. Seit Susanne Beiers Scheidung vor sechs Jahren war die einzige Tochter alles, was sie hatte. Bestimmt hätte sie ihr eine Wohnung oder zumindest ein Zimmer in der 20 km entfernten Universitätsstadt finanziert, doch in ihrem Beruf als Friseurin verdiente sie grade so viel, dass es zum Leben reichte. Dass Eva das Jurastudium überhaupt hatte aufnehmen können, hatte sie nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass ihr Vater, ein Stuttgarter Kriminalbeamter, zu Unterhaltszahlungen verpflichtet war, doch die deckten nicht wesentlich mehr als den Unterhalt für ihren VW-Käfer. Insgeheim hegte Eva allerdings den Verdacht, dass ihrer Mutter die finanzielle Situation, die den unvermeidlichen Zeitpunkt ihres Auszuges auf unbestimmte Zeit vertagte, nicht völlig ungelegen kam. Doch vielleicht tat sie ihr auch unrecht. Sie unterdrückte ein Gähnen und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
    „Und warum bist
du
schon auf? Ihr habt montags doch gar nicht geöffnet.“
    „Ich konnte nicht schlafen.“
    „Du bist überarbeitet. Du solltest Urlaub machen.“
    Liebevoll strich Susanne Beier ihrer Tochter das kurz geschnittene blonde Haar aus der Stirn. „Urlaub? Du weißt doch, wie unterbesetzt wir sind … Soll ich heute Abend etwas für uns kochen?“
    „Ich weiß nicht, wann ich komme, ich wollte nach der Uni noch bei Lukas vorbeischauen.“
    „Warum kommt denn dein Freund nicht mal rauf zu uns, Süße? Ich würde ihn gerne kennenlernen.“
    „Weil er kein Auto hat, Mama.“
    „Schon mal was vom öffentlichen Nahverkehr gehört?“
    „Außerdem hat er viel zu tun.“
    „Was macht er denn?“
    Eva lächelte geheimnisvoll. Dann stellte sie ihren Kaffee auf den Tisch, ließ die Hand in die Tasche ihres
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