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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn
Autoren: Anna Seghers
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– Bemerkungen über Frau Rendel und die gewalttätigen Übergriffe gegen sie. Diese selbstbewußte, politisch aktive und mutige Frau provoziert die Bauern nicht nur dadurch, daß sie Kommunistin ist, sondern auch weil sie sozusagen auf der ganzen Linie nicht mit ihrem herkömmlichen Frauenbild übereinstimmt und also eine Bedrohung darstellt. Sie lebt offensichtlich mit ihrem Mann in einer gleichberechtigten Beziehung, in der das Private und das Politische nebeneinander existiert. Die Beziehung der Rendels stellt im Roman ein positives Gegenbild zu den Ehen Schüchlins und Merz’ dar. Möglicherweise griff Anna Seghers daher auch diesen Namen wieder auf, als sie jene Geschlechtertauschgeschichte schrieb, die sie 1940 unter dem Titel »Der sogenannte Rendel« veröffentlichte.
    Den Beziehungen der Menschen untereinander kommt also nicht nur im negativen, sondern auch im positiven Sinne Bedeutung für das politische Geschehen zu. Allerdings sind die Ausnahmen, d. h. diejenigen, die über dem Streben nach Geld, Besitz und Macht nicht Menschen und Menschlichkeit vergessen, dünn gesät. Als Ursache für die Resistenz gegen die wachsende Brutalisierung werden bei Andreas Bastian und seiner Frau und auch bei Algeier ihre Verankerung im christlichen Glauben benannt. Ihr Glaube läßt sie christliche Nächstenliebe praktizieren: Bastian nimmt den weitläufig verwandten Johann auf, Algeier hat Mitlied mit dem Verfolgten, und seine Tochter Marie steht der schwangeren Susann Schüchlin bei, während andere Frauen gleichgültig und neugierig um sie herum stehen.
    Hilfsbereitschaft, uneigennützige Freundlichkeit und Einfühlungsvermögen sind nur wenigen unter den Dorfbewohnern eigen. Für die meisten hat der Faschismus, so wie er sich ihnen darstellt, eine große Anziehungskraft, die nicht rational zu erklären ist. Er zieht mit seinen Versprechungen und scheinbar einfachen Lösungen nichtnur diejenigen an, die durch die Härte ihres Existenzkampfes ihre menschlichen Züge mehr und mehr eingebüßt haben, oder jene, die ein sozial erlaubtes und sanktioniertes Ventil für aufgestaute Frustration und blinden Haß brauchen, die sich in brutaler Aggression gegen Schwächere entladen können. Ein glaubwürdiges Beispiel für diesen Typus des nazistischen Gewalttäters zeichnet Anna Seghers mit dem Bauern Zillich. Ihn treibt ein unbändiger Haß auf die Juden und die Roten, er glaubt bereitwillig der rechten Propaganda, daß sie schuld seien an seinem wirtschaftlichen und psychischen Elend. Die Ausschreitungen seiner SA-Truppe gegenüber den Kommunisten – Ibst, für dessen Tod er verantwortlich ist, war sein Nachbar – zeugen von einer menschenverachtenden Brutalität. Die Autorin vermerkt zu Recht, daß die Polizei der Weimarer Republik die strafrechtliche Verfolgung der Linken sehr viel ernster nahm als die der Rechten: deren Untaten blieben häufig ungesühnt, und Beispiele solcher Klassenjustiz sind bis heute bekannt. Besonders jene Szene, in der Johann Schulz von Zillich zusammengeschlagen wird, zeigt die Abgründe, die sein blindwütiger Haß bloßlegt. Sein Gesicht brannte, als hätte er endlich den Feind entdeckt, der sein Elend verschuldete. [...] In diesem Augenblick zerriß die Stille endgültig, und die Wildheit wurde sichtbar, die allen Dingen innnewohnt. Himmel und Erde vertauschten sich mit Leichtigkeit. [...] Zillich sah nicht, aber er spürte, daß dieser fremde Mann endlich aufgerissen war. Er hatte ihn nie zuvor gesehen, sein Gesicht war ihm unbekannt, er hatte es zerschlagen, bevor er es erblickt hatte. Doch war er diesem fremden Mann auf den Grund gekommen. Er spürte das fremde Blut an seiner Hand mit ungeheurer Erleichterung wie einen eigenen Aderlaß. Sein Unglück war draußen, für diesen Augenblick wenigstens. Nach dieser elementaren Entladung von Aggression geht Zillich allein nach Hause und ist zutiefst enttäuscht, im eigenen Haus und Hof diealte Unordnung und Freudlosigkeit vorzufinden. Nichts hat sich geändert. Die Nazis brauchten solche Kreaturen wie Zillich. Anna Seghers war er als Typus wichtig genug, um ihn zunächst in dem Roman Das siebte Kreuz (1942) und später in der Erzählung Das Ende (1946) wieder aufzunehmen. Im Roman ist er Mitglied der Wachmannschaft des KZs Osthofen, aus dem sieben Häftlinge ausbrechen, von denen einem – Georg Heisler – die Flucht gelingt. Während sein Verhalten, seine Brutalität den Häftlingen gegenüber, dort einfach beschrieben wird, versucht die
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