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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn
Autoren: Anna Seghers
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zu verstehen.
    Handlungsort und -zeit des Romans werden durch den Untertitel fixiert. Die erzählte Zeit umfaßt den Sommer des Jahres 1932, von Johanns Flucht aus Leipzig nach der Hungerdemonstration im April bis zu seiner Gefangennahme im August, unmittelbar nach den Reichstagswahlen. Diese Wahl am 31. Juli machte die NSDAP mit 37,4% der Stimmen zur stärksten Fraktion im Reichstag. Zwar gingen ihre Stimmen bei der Wahl am 6. November auf 33% zurück, aber nach der Einsetzung Hitlers als Reichskanzler durch Hindenburg erhielt die NSDAP bei den Wahlen am 6. März 1933 43,9% der Stimmen und hattezusammen mit den Deutschnationalen die absolute Mehrheit. Die politische Macht, als die der Nationalsozialismus sich in den Krisenjahren der Weimarer Republik etablieren konnte, wird in diesen Zahlen faßbar. Aber die Schriftstellerin Anna Seghers interessieren keine Zahlen, sondern die Beweggründe, die Ängste und Hoffnungen der Menschen dahinter. Sie fragt nach den genauen Verhältnissen, in denen sie leben und arbeiten, nach ihren Beziehungen untereinander in der Familie und im Dorf, nach ihren Werten und Traditionen, ihren Vorurteilen und ihrer Verführbarkeit. Das Phänomen Faschismus erfaßt und untersucht Anna Seghers in seiner sozialpsychologischen Dimension. Dennoch gibt ihre Erzählung kein unzulässig vereinfachtes oder einseitiges Bild des deutschen Faschismus. Ökonomische Zwänge, die zur Existenzbedrohung ausarten, die Zermürbung durch jahrelange Arbeitslosigkeit, kräftezehrende, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse – all dies gerät in den Blick, wo nach Zusammenhängen von Ursache und Folge geforscht wird.
    Für den Schuhmacher Andreas Bastian blieb, vom Bruder zugeteilt, nur schlechtes Ackerland und eine baufällige Hütte, um sein und seiner Familie Auskommen zu fristen. Weil der Nachbar ihm den Anschluß an seine Pumpe nicht gestattete, er aber Frau und Tochter das Wasserschleppen ersparen wollte, verschuldete sich Bastian dermaßen durch den Kauf einer eigenen Pumpe, daß er seine zehnjährige Tochter Dora als Magd zu seinem Bruder geben mußte – wo sie gerade jene Arbeit tun muß, vor der er sie bewahren wollte. Aus diesem Teufelskreis gibt es kein Entrinnen.
    Auch Algeier – dem es zwar besser geht als Bastian, aber bei weitem nicht so gut wie dem Gärtner Kunkel oder dem alten Merz – kämpft um seine Existenz; seine Tochter Marie verlor ihre Stelle als Dienstmädchen, und nun kann er die Raten für die Zentrifuge nicht mehr bezahlen. Während die Nachbarn gleichgültig zuschauen,wird die Zentrifuge abgeholt, und Algeier kann es nicht fassen, daß ihm keiner hilft.
    Die Wirtschaftskrise macht auch dem wohlhabenden Bauern Merz, der wegen der Mitgift für die Tochter ein Haus verkaufen muß, und dem jüdischen Viehhändler Napthel zu schaffen; die Geschäfte gehen schlechter, das Vermögen wird geringer. Unter dem materiellen Druck der Existenzangst verändern sich die Menschen und ihre Beziehungen untereinander. Der junge Kunkel wird durch den Tod seines Vaters zum Familienoberhaupt; sein Betrieb floriert, weil er in einer Mischung aus Erfindergeist und brutalem Eigennutz aus Land und Leuten alles rausholt. Neugebauer heiratet eine schmuddelige Witwe, um mit ihrer Mitgift einen Teil seiner Schulden bezahlen zu können. Großmann schlägt seinen Sohn zum Krüppel, weil er Unterhalt für dessen uneheliches Kind zahlen soll, während der junge Merz einer Unterhaltsforderung durch kaltblütigen Meineid entgeht. Schüchlin heiratet die schwachsinnige Susann Schulz und schindet sie unter den Augen des ganzen Dorfes durch schwere Arbeit und rasch aufeinanderfolgende Geburten buchstäblich zu Tode, um endlich an das Erbe zu kommen.
    Faschismus, das bedeutet im Kontext des Romans auch die durch ungerechte und elende materielle Verhältnisse ermöglichte extreme Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Die brutale Ausbeutung der Frauen, sei es als Arbeitstier wie Susann Schüchlin, die erst im selbstgewählten Tod ihre Würde wiedererlangt, sei es als Sexualobjekt wie Sophie Bastian, die an den jungen Merz verschachert wird und einer von Gewalttätigkeit bestimmten Ehe entgegensieht, betont das patriarchalische Element dieser Menschenverachtung, die Voraussetzung und Bestandteil des Nazismus ist. Wie sehr das Bild der Frau als Dienende, als Unterwürfige und als Objekt männlicher Bestimmung und Ausbeutung in Denken und Verhalten der Bauern verankert ist, zeigen ihre – modern gesprochen:sexistischen
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