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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn
Autoren: Anna Seghers
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spätere Erzählung in Gestalt einer sozialpsychologischen Studie, seine Geschichte zu erhellen bis hin zu seiner unausweichlichen Selbsttötung. (Interessanterweise wurde gerade die Figur Zillichs für so »nazi-typisch« gehalten, daß man bei der Rollenbesetzung der Hollywood-Verfilmung des »Siebten Kreuzes« (1943) auf einen deutschen Schauspieler, den Emigranten Alexander Granach, zurückgriff. Die Hauswartsfrau spielte übrigens Helene Weigel.)
    Für Anna Seghers ist jedoch der Faschismus nicht nur als Ventil für Schläger vom Typ Zillichs von Interesse. Viel mehr – und das macht einen Großteil der heutigen Brisanz ihres Romans aus – interessieren sie die Motivation der Jungen, die Ursachen für die Faszination und Anziehungskraft, die der Nazismus für sie, junge Bauern und Arbeiter, hat. Die Väter-Generation hatte immerhin eine Vergangenheit, auch wenn das der Krieg war; für die Jungen hingegen gibt es in den Jahren der WirtschaftsKrise und der politischen Radikalisierung weder ein befriedigendes Auskommen noch eine Perspektive. Sie wachsen in die Arbeitslosigkeit hinein, wie Johann Schulz und wie der junge Gärtner Kößlin, ihre Kraft, ihre Kreativität und ihre Bereitschaft zu produktiver Arbeit wird sinnlos vergeudet. Die Nazis ziehen diese Jungen mit dem Versprechen auf Ordnung und Aufbau an sich, sie locken mit einer Gemeinschaft von scheinbar Gleichen, ohne dasVerhältnis von Herr und Knecht faktisch anzutasten. Für Paul Algeier und Gottlieb Kunkel steht das Bedürfnis nach Abenteuer und nach Freundschaft im Mittelpunkt, als sie sich den Nazis anschließen. Für die Bauern, die vom Anblick der jungen Nazis im Wirtshaus fast benommen sind, ist es klar: Es mußte doch hinter diesen Jungens eine ordentliche Macht stehen, die sie in solchen schweren Zeiten also einkleidete und fest beschuhte. Schon bei diesem Anblick dachten manche, ob es ratsam sei, den Söhnen etwas beharrlich abzuraten, was ihnen vielleicht Nutzen brachte. Eine saubere, ungeflickte Hose und besohlte Schuhe sind in Zeiten solcher Armut bereits ein politisches Argument. Der Aspekt, der sich in allen Handlungen und Gedanken der Bauern als der dominierende zeigt – Eigennutz und Vorteilsdenken um jeden Preis –, bestimmt auch ihre Bewertung des Nationalsozialismus. Eine ideologische oder auch nur argumentative Auseinandersetzung mit dem Faschismus findet im Kopflohn so gut wie nicht statt. Ansätze dazu gibt es lediglich in Johanns Gesprächen mit seinen Genossen Wolf und Rendel und in den beiden Gesprächen, die Johann Schulz und Kößlin miteinander führen. In diesen beiden jungen Arbeitslosen hat die Erzählerin zwei komplementäre Figuren entworfen, deren Entwicklung sie in zwei entgegengesetzte Lager führt; Herkunft und Freunde, aber auch Zufälle spielen dabei eine Rolle. Man könnte zugespitzt sagen: aus dem Erleben derselben krisenhaften Situation heraus ziehen beide unterschiedliche Konsequenzen. Als Gesinnungsgenossen könnten sie die besten Freunde sein, denn sie gleichen sich in wesentlichen Charakterzügen. Johann ist zwar nicht in der Partei, aber Kommunist, was Kößlin nicht versteht. Wo Johann auf dem Klassenunterschied besteht, sich als Prolet fühlt und stolz darauf ist, bevorzugt Kößlin statt der linken Gleichmacherei eine Ordnung, deren Hierarchie unangetastet bleiben soll.
    Für die Erzählerin stellte sich die Frage, welche Struktur, welche Fabel, welche Motive geeignet seien, den Faschismus in seinen Voraussetzungen und Motiven und vor allem in seiner Gefährlichkeit, die sie in der Auslöschung des Humanen sah, an der Wurzel, das heißt in den arbeitenden und handelnden Menschen zu erfassen und darzustellen. Dabei dachte sie weniger an solche Leser, die bereits politisch engagiert waren, sondern viel mehr interessierten sie jene, deren Bewußtsein noch zu wenig geschärft und deren Gefühle noch zu gleichgültig waren angesichts der politischen Entwicklung. Symptomatisch ist auch, daß gerade diejenigen, die zu dieser Entwicklung durch die Wahl der NSDAP beitrugen, über ihr eigenes Mittun erstaunt waren. Aber die Entscheidung, die bei der Wahl zu treffen war, war weder zufällig noch erzwungen, sondern sie wurde mehrheitlich getragen. Sie erwuchs für viele bruchlos aus dem Alltag und war in den harten Krisenjahren der Republik gewachsen. Die Entscheidungssituation, mit der Anna Seghers ihren Roman strukturiert, ist die Frage, wie sich die einzelnen Menschen in der Konfrontation mit dem gesuchten
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